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Kultur: „Wer singt heute noch vom Blatt?“

Der neue Kulturstaatsminister Bernd Neumann über seine musischen Neigungen, Konsenspolitik und Hauptstadtkultur

Herr Neumann, Sie haben Ihre Vorgänger im Amt des Kulturstaatsministers als „freischwebende Schwäne“ bezeichnet. Welcher Vogel möchten Sie in Ihrer neuen Funktion gern werden?

Dieses Zitat stammt nicht von mir.

Julian Nida-Rümelin wird in der aktuellen „Zeit“ damit konfrontiert.

Nein, das unterstellte Zitat stammt von Journalisten, die den Gegensatz deutlich machen wollten zwischen meinen Vorgängern und mir als dem gestandenen Partei-Politiker und Pragmatiker. Aber die meisten aus der Kulturszene wollen ja gar nicht unbedingt einen aus ihren Reihen, sondern einen, der in der Lage ist, das, was sie politisch für richtig halten, auch umzusetzen. Darin sehe auch ich meine Aufgabe.

Stört es Sie, wenn Sie als der Parteimensch beschrieben werden, der nicht aus der Kulturszene kommt?

Ich komme aus der Politik, ich bin vernetzt, man sagt, ich sei ein Profi, und das beleidigt mich überhaupt nicht, im Gegenteil, es macht mich stolz. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Meine Tätigkeit in der Politik hat meine anderen Seiten in der öffentlichen Wahrnehmung naturgemäß überlagert. Ich habe schon in meiner Schüler- und Studentenzeit Theater gemacht und Stücke inszeniert, absurdes Theater. 1966, auf dem Studentenbühnenfestival in Erlangen, trat übrigens auch Claus Peymann mit seiner Truppe auf. Die waren damals schon Spitzenklasse. Ich war später, als kulturpolitischer Sprecher der CDU von 1987 bis 1990 Berichterstatter für die drei großen Museen des Bundes, die Kunsthalle in Bonn, das Haus der Geschichte – wo ich mit Oskar Schneider den Eisenbahnwaggon eingeweiht habe – und das Deutsche Historische Museum in Berlin.

Das waren die drei großen Museumsprojekte von Helmut Kohl. Sie gelten als ein enger Freund des Altbundeskanzlers.

Ja, das war das, wofür der Bund damals am meisten ausgab. Zu Helmut Kohl habe ich auch in schlechten Zeiten gestanden, in guten ist so etwas ja nicht erwähnenswert. Nicht, weil ich seine Fehler hätte vertuschen wollen, sondern weil es mein Prinzip ist.

In Ihrem Lebenslauf steht, dass Sie Akkordeon gespielt haben. Haben Sie es noch?

Natürlich. Ich habe als Student in einer Band gespielt und bin mit Akkordeon und Gesang auch alleine aufgetreten, auf Kohl-und-Pinkel-Fahrten oder Silvesterfeiern. Musik war in meinem Lehrer-Examen die einzige Note Eins, es war mein Lieblingsfach. Ich kann vom Blatt singen, wer kann das heute noch!

Angela Merkel hat im Wahlkampf beklagt, dass es – sie selbst eingeschlossen – kaum noch Deutsche gibt, die textsicher sind und mehrere Liedstrophen kennen.

Als Lehrer habe ich in der Klasse viele Lieder singen lassen, vielleicht nicht mehr „In einem kühlen Grunde“, sondern eher so etwas wie „In einen Harung jung und schlank“. Warum erzähle ich das? Weil sich die Erfahrungen mit Musik und Kultur durch mein ganzes Leben gezogen haben, wenn auch bisher nebenbei. Und weil kulturelle Bildung etwas unglaublich Wichtiges ist, gerade heute. Als Schüler habe ich damals als Erster eine Arbeitsgruppe Film eingerichtet. Meinen ersten Film habe ich bis heute in Erinnerung, André Cayattes „Wir sind alle Mörder“, ein großartiger Schwarzweißfilm.

Sie saßen später in Drehbuch-Fördergremien.

Das war in den Neunzigerjahren, obwohl ich damals bis 1998 Staatssekretär im Forschungsministerium gewesen bin. Ich habe circa 1000 Drehbücher gelesen und war der einzige Politiker, der in der Drehbuchkommission mitwirkte. Aber mit Kultur kommt man nicht so leicht in die Schlagzeilen. Meine Schlagzeilen galten dem Bremer Landesvorsitzenden der CDU.

Sie haben für die CDU-Abgeordneten Sondervorführungen von „Die Passion Christi“ und „Der Untergang“ organisiert. Können Politiker nicht wie andere Menschen ins Kino gehen?

Abgeordnete sind in der Mehrzahl älter, wie die Gesellschaft auch. Und in die Kinos gehen in der Mehrzahl die Jüngeren. Nun kam von Eichingers Firma Constantin das Angebot, den Mel-Gibson-Film vorab zu zeigen, der ja schon in Amerika Diskussionen ausgelöst hatte. Auch „Der Untergang“ machte ja Schlagzeilen, und solche Filme vor dem Kinostart zu sehen und zu diskutieren, ist auch für Abgeordnete wichtig. Da kamen mehr als bei so mancher Fraktionsversammlung und viele, die sonst nie ins Kino gehen. Mancher nannte mich daraufhin den „Filmonkel“. Prima, ich nehm’s als Kompliment.

Die jüngsten Zahlen sagen, dass der Kinobesuch in Deutschland um rund 20 Prozent zurückgegangen ist. Kann der Kulturstaatsminister etwas dagegen tun?

Eine Antwort ist: kulturelle Bildung, das Erlernen von kulturellen Techniken. Die Schüler müssen lesen, rechnen, schreiben können, aber sie müssen auch lernen, wie man Bilder versteht oder Musik. Wenn heute in der Schule Fächer reduziert werden, geht es meist zu Lasten von Kunst oder Musik. Aber es ist eine elementare Aufgabe von Schule, junge Leute an Kultur heranzuführen.

Wie groß ist Ihr Aktionsradius? Was Sie gerade beschreiben, fällt ja eher in die Zuständigkeit des Bildungsministeriums. Können Sie viel reden, mahnen, warnen, aber wenig tun?

Ich dachte früher auch, die Verantwortungsbereiche des Kulturstaatsministers seien eher begrenzt. Seit meinem Amtsantritt – und den dutzenden Vorlagen, die täglich auf meinen Schreibtisch kommen – sehe ich das anders, es reicht ja von der Medienpolitik über die gesamten Kulturthemen bis zur ehemaligen Stasi-Zentrale. Der Reiz meiner Aufgabe liegt vor allem in der Chance, überall dort mitzureden, wo Kultur und Medien eine Rolle spielen. Ich bevorzuge konsensuale Verfahren und hoffe, dass eine Allparteien-Koalition für die Kultur gelingt.

Ist die Aufteilung der Bundes- und Länderkompetenzen in Ordnung? Wollen Sie da etwas ändern oder entflechten?

Ich kann nur jeden Kulturpolitiker warnen, die reine Lehre von der so genannten Entflechtung zu proklamieren. Ohne Mischfinanzierung gäbe es viele Kulturinstitutionen gar nicht. Die Situation in Berlin ist ein klassisches Beispiel. Der Hauptstadtkulturvertrag bildet die Grundlage. Was den Hauptstadtkulturfonds betrifft, kann man ihn sich in Ruhe noch einmal ansehen und seine Vergabepraxis und Effizienz vielleicht verbessern.

Der Vertrag läuft bis 2007, Sie wollen den Hauptstadtkulturfonds also verändern?

Ich will keine schlafenden Hunde wecken.

Die sind schon ziemlich wach seit Norbert Lammerts Kritik am Hauptstadtkulturfonds.

Ich bitte Sie, ich bin vier Tage im Amt und habe nicht vor zu erklären, dass ich alles anders machen werde. Ich sage nur, hier und da gibt es Prüfungsbedarf. Ich werde beim Hauptstadtkulturfonds wie überall anderswo nachschauen, ob die Dinge gut geregelt sind und die Zuordnungen stimmen. Und manches wird verändert werden. Im Koalitionsvertrag ist ausdrücklich von der möglichst baldigen Fusion der Bundeskulturstiftung mit der Kulturstiftung der Länder die Rede. Ich habe vor, das hinzukriegen, mit beiden Aspekten: der Bewahrung des Kulturerbes und der Förderung des Zeitgenössischen.

Angela Merkel hat es bedauert, dass die Berliner Staatsoper nicht in die Verantwortung des Bundes fällt, sondern unter dem Dach der Opernstiftung weiter eine Berliner Einrichtung bleibt.

Natürlich werden wir uns auch die Staatsoper und die Opernstiftung anschauen, aber nichts überstürzen.

Was sind Ihre Prioritäten im internationalen Bereich?

Als Erstes habe ich mit meinem französischen Kollegen telefoniert. Mit Frankreich verbindet uns so viel, vor allem in der Kultur. Wir ziehen an einem Strang. Zu Russland haben wir aus anderen Gründen enge Beziehungen. Schwerpunkt meiner internationalen Arbeit ist natürlich die EU.

Die auswärtige Kulturpolitik bleibt beim Auswärtigen Amt. Ärgert Sie das?

Mich ärgert es nicht, aber ich halte es für falsch. Die Kulturpolitiker der SPD haben auch immer gefordert, dass die auswärtige Kulturpolitik, also die Goethe-Institute, zum Staatsminister für Kultur kommt. Nun hat die SPD das Außenamt, und alles bleibt beim Alten.

Sagt Ihnen der Begriff „Leitkultur“ etwas? Zuletzt hat Ihr Parteifreund Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, danach gerufen.

Mich leitet in meinem Amt die Vielfalt der Kultur in Deutschland und die Faszination, die diese Bandbreite bietet, die uns verbindet durch die gemeinsame deutsche Sprache. Wir sollten lieber Diskussionen über konkrete Kulturthemen führen und weniger über abstrakte Begriffe.

Das Gespräch führten Christiane Peitz und Rüdiger Schaper.

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