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Kultur: Wertpapiere

Radikal ruhig: Zeichnungen und Tuschen in Mitte

„Unbekannt verzogen“ hat der Briefträger auf dem Poststempel angekreuzt. Ob sich der unerreichbare Adressat in die Ferne abgesetzt hat, an Bord eines Schiffes womöglich? Das würde gut zu der Zeichnung passen, die Karl Bohrmann mit blauer und schwarzer Ölkreide auf dem bedruckten Packpapier angefertigt hat. Sie ist Teil der Serie „Dampfer und Segelschiffe“, die in der Galerie Wolfram Völcker Fine Art zu sehen ist (Auguststr. 62, bis 5. Juni).

Der 1998 in Köln verstorbene Künstler setzt seine Mittel reduziert ein, wenige Striche genügten, um eine maritime Atmosphäre zu erschaffen. Oft steht eine Frau im roten Mantel am Ufer, sehnsüchtig scheint sie dem Schiff nachzuschauen, bis es am Horizont verschwindet. Als Untergrund dient Bohrmann neben Packpapier jegliches Material, das er finden konnte: Briefumschläge, beschriftetes Papier, sogar die Mathematikhefte seiner Tochter (1700-2500 Euro). Aus der Kombination der farbigen Schiffe mit den Adressen, Gleichungen und Formeln entsteht eine ganz eigene Poesie. Andere Zeichnungen, die kurz vor seinem Tod entstanden, zeigen Landschaften mit roten Bäumen. Als Horizontlinie dient die Stelle, an der Bohrmann ein Stück rotes chinesisches Papier an das gefundene geklebt hat.

Das besonders saugfähige Chinapapier ist auch das Material für den Tuschemaler Jiang Zhi Xin, dessen Werke in der Galerie Albrecht (Charlottenstr. 78, bis 27. April) ausgestellt sind. Die Xuan-Papier genannte Sorte verlangt höchste Konzentration und genaue Pinselführung, nachträgliche Änderungen sind kaum möglich. Der 1949 geborene Künstler erschafft seine beeindruckenden Bilder aus einer Art meditativer Versenkung heraus, einer geistigen Vorbereitung, die durch das empfindliche Material erzwungen wird. Sie stellen die karge, großartige Landschaft dar, die seine Heimatstadt Pingliang umgibt – vor allem den heiligen Berg Kongtong und den Fluss Jinghe. Doch sind sie nicht vor Ort entstanden, sondern in Jiangs Pekinger Atelier, wo er die Eindrücke vor seinem inneren Auge wieder aufleben lässt.

Die drei für Tuschezeichnungen riesigen Bilder sowie vier kleinere faszinieren durch die taoistische Ruhe und Leere, die sie ausstrahlen (4600-23 000 Euro). Spuren von Menschen fehlen, die in schnellen Strichen zu Papier gebrachten Szenen wirken urtümlich, vorzeitig: Pferde vor einem lang gestreckten See, dahinter ein schneebedeckter Gipfel. Büffel und Antilopen, vorüberziehende Wolken, der Vollmond über einer geheimnisvollen Wasserfläche. Die zwischen Schwarz und Weiß changierenden Werke scheinen auf den ersten Blick ohne direkten Bezug zur Realität, erinnern zuweilen an den Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock.

Abstrakt in radikalem Sinne sind die Zeichnungen von Karin Schwarzbek in der Galerie Jordan/Seydoux (Auguststr. 22, bis 27. April). Die sechzehn Werke – allesamt dieses Jahr entstanden und ohne Titel – bewegen sich an der Grenze des Sichtbaren (700-2000 Euro). Mitunter befinden sich lediglich vier schwarze Punkte auf dem Papier, auf anderen verschwimmen hellgelbe und grauschwarze Flächen, deuten Körperlichkeit an. Mit Gouache, Tusche – oder einer Mischung aus beiden zusammen mit Acryl – nähert sich die Thurgauer Künstlerin dem Prinzip der Dualität: Augenpaare, Hände und Füße treten aus dem Hintergrund hervor, bevor sie wieder zu verblassen scheinen. Dunkle Kreise überlappen sich, erinnern an Weinbeeren, Baumstämme oder Gliedmaßen. Auch das Papier wird körperlich, wellt sich und betont so seine eigene Materialität. Daniel Grinsted

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