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© Berlinale

Wettbewerb: Arm ab, arm dran

In seinem Film Caterpillar“ kritisiert Regisseur Koji Wakamatsu die Heroisierung japanischer Geschichte.

Ein indischer Moslem mit dem Asperger- Syndrom, ein US-Marshall im Irrenhaus, nun ein Kriegsheld ohne Arme und Beine, das ist für den ersten Teil eines Festivals eine erkleckliche Anzahl schwerstlädierter Protagonisten. Aber während Shah Rukh Khan unsere Tränendrüsen und Leonardo DiCaprio unsere Nerven angreift, zielt Koji Wakamatsu auf unsere Magengrube. Sein Leutnant Kyuzo Kurokawa ist nicht nur Haupt-, sondern auch Titelfigur in „Caterpillar“, also eine Raupe.

Dem Regisseur geht es nicht um eine allegorische Horrorisierung allgemeiner Schrecken, sondern um Kritik an der Heroisierung japanischer Geschichte. Chinesisch-japanischer Krieg in den vierziger Jahren, monochrom eingefärbte dokumentarische Bilder von Kampfflugzeugen und Bombeneinschlägen, Überblendung in brennende Häuser, Soldaten, die Frauen vergewaltigen, Schnitt zu Aufmärschen mit nationalistischen Liedern und Fahnenschwenkerei, dann ein Schwenk über entsetzte Gesichter. Das letzte gehört zu einem Soldaten, der salutierend Vollzug meldet über die gelungene Lieferung des Leutnants Kurokawa. Bei seinem tapferen Einsatz hat er Arme und Beine verloren. Die Kamera zerlegt das, was von ihm übrig geblieben ist, in Details von Stümpfen, Narben, Wunden, verbrannter Haut, zitterndem Kiefer, sabberndem Mund. Direkt danach der Blick auf das bunte Blech der Tapferkeitsmedaillen. Seine Frau kann eine solche Rückkehr ihres Mannes nicht ertragen, sie rennt aus dem Zimmer, bricht zusammen und schreit: „Nein“; das ist der Prolog, und damit ist alles gesagt.

Ständig werden in den folgenden 80 Minuten die bösen Kriegsbilder mit den strahlenden Kriegspropagandabildern konfrontiert, ständig fällt der Blick des als Kriegsgott Verehrten auf seine Auszeichnungen, auf das Foto des Kaisers und auf den gerahmten Jubelartikel einer Zeitung. Durch solche Wiederholungen verkommt die Kritik zu Leerformeln. Der Rest ist: mit dem Entsetzen Spekulation treiben, weswegen der Film bald als skandalträchtig beraunt werden wird. Beim Mann ohne Gliedmaßen funktioniert das Glied immerhin noch so tüchtig, dass er seine Frau weiterhin zur Erfüllung ihrer ehelichen Pflichten anhält. Er ist geistig und seelisch genauso amputiert wie körperlich.

Bei den sexuellen Aktionen werden durch Rückblenden drei Zeitebenen miteinander verschachtelt: Schon vor dem Krieg hat Kyuzo seine Frau zum Sex gezwungen; als Soldat war er an den Vergewaltigungen beteiligt, und nun versucht er es als Raupenwesen mit Zähnen und Armstümpfen weiterhin. Dabei kommt es zu einer Art Krüppel-Kamasutra, bei dem man zweierlei bewundern kann: wie viele Stellungen dabei immer noch möglich sind und welch kunstvoller Aufwand nötig ist an Kerzen und indirekter Beleuchtung, Schleiern und Vorhängen, damit der Blick der Kamera noch gerade die Grenzen des Sittsamen wahrt.

Heute 15 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania), 21.2., 20 Uhr (International)

Helmut Merker

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