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Gigante

© Berlinale

Wettbewerb: Nachtwächter, ich hör’ dir trapsen

Die Vorstadt als Bühne. Mit "Gigante" liefert Adrián Biniez aus Uruguay ein kleines, feines Regiedebüt, meint Christiane Peitz.

Ein Gigant ist er nicht, aber ganz schön korpulent. Rundgesicht, Schnauzbart, hängende Arme, dicker Bauch unter dem Motörhead-Shirt, Bärenkräfte – und über den großen Onkel läuft er auch. Man sieht ihn oft gehen in diesem Film, durch die Straßen des Vororts von Montevideo, am Abend zur Arbeit als Nachtwächter im Supermarkt, am Morgen nach Hause und bald auf neuen Fährten. Denn bald folgt er heimlich der hübschen Putzfrau Julia, die er auf einem seiner Überwachungsmonitore entdeckt und die es ihm angetan hat: ins Internet-Café, ins Kino, an den Strand und sogar in die Kneipe, in der sie ein Date hat. Vorstadt als Bühne. Die Kamera verharrt meist still – und der Asphalt glänzt im warmen Licht der Morgensonne.

Jara (Horacio Camandule), der Held von Adrián Biniez’ Spielfilmdebüt „Gigante“, erinnert in seiner Schweigsamkeit und seinem Alltagstrott an andere wortkarge Helden des lateinamerikanischen Kinos (etwa an Julio Chavez in „Der Leibwächter“ aus Argentinien, der 2007 einen Darsteller-Bären gewann), auch an den Protagonisten des einzigen hierzulande bekannten uruguayischen Films, an den Strumpffabrikaten aus „Whisky“ (in dem Regisseur Biniez einen Kurzauftritt als Karaoke-Musiker hatte). Und ähnlich wie „Whisky“ entfaltet auch die internationale Koproduktion „Gigante“ ihren Reiz aus der Lakonie.

Die knappen Dialoge beim Kantinenessen der Supermarkt-Angestellten. Das Knacken der Halswirbel, als Jara einem Kollegen vom Sicherheitsdienst mit chiropraktischem Kunstgriff den verspannten Nacken lockert. Die Stummfilm-Szenen auf den Monitoren, wenn die Azubis sich mal wieder balgen, wenn die Putzkolonne mit ihren Putzeimerwägelchen ausschwärmt oder Jara bei den kleinen Diebstählen der Putzfrauen ein Auge zudrückt (weil er lieber weiter Kreuzworträtsel löst). Oder Jaras Zögern, als er im Kino entscheiden muss, ob Julia sich gerade „Amor“ anschaut oder „Mutant“ (er rät falsch, sie sitzt im Horrorfilm). Von solchen kurzen, komischen Momenten lebt „Gigante“. Und von der Geduld, mit der der 34-jährige, aus Argentinien stammende Musiker und Regisseur die Liebesgeschichte von Jara und Julia entfaltet.

Jara, der schüchterne Hüne mit dem langweiligen Leben, der vor dem Fernseher einschläft und nur in die Disco geht, um als Türsteher sein Gehalt aufzubessern, wird Julias Schutzengel. Nachts beobachtet er sie auf dem Monitor, tags läuft er hinter ihr her. Kein Voyeurismus, eine stille Obsession. Als der Verkaufsleiter sie wegen kleiner Missgeschicke im Visier hat, lenkt er ihn ab. Als Jara sie fälschlicherweise bei einem Quickie mit einem Lagerarbeiter wähnt, setzt er die Sprinkleranlage in Gang. Und als die Entlassungswelle auch Julia ereilt, bringt er seine Bärenkräfte ins Spiel. Bloß traut er sich nie, sie anzusprechen. Bis sie ihn auf einem Überwachungsmonitor entdeckt ...

Man fühlt sich mit Jara ertappt. Wir Kinogänger sind ja auch: Beobachter, Besessene, Schattengestalten. Manchmal kommt es darauf an, aus dem Schatten zu treten. Egal, wie ungeschickt man sich dabei anstellt.

9. 2., 9.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 17.30 Uhr (Urania), 15. 2., 22.30 Uhr (Urania)

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