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Wim Wenders’ „Alice in den Städten“ mit Yella Rottländer wurde 1973 auf 16 Millimeter gedreht. Bei der Restaurierung konnte Breitwandformat realisiert werden.

© Wim Wenders Stiftung

Von Wenders bis zur Wochenschau: Wie Archive und Dienstleister die Filmgeschichte bewahren wollen

Im Januar startete die „Digitalisierungsoffensive“ zur Rettung des Filmerbes. Es ist ein Anfang. Doch viele Fragen bleiben offen. Eine Bestandsaufnahme.

Spratzer, Risse, verblichene Farben, das Bild sieht nicht gut aus. Gleich daneben ist die Welt wieder in Ordnung: Auf der Webseite der Wim-Wenders-Stiftung finden sich einige dieser Vorher-Nachher-Bildpaare von restaurierten Filmen.

19 Werke von Wim Wenders wurden bisher gesichert und restauriert, zuletzt „Lisbon Story“. Dessen Remastering soll am Wochenende im Filmmuseum in Frankfurt/Main uraufgeführt werden, zum Unesco-Welttag des Audiovisuellen Erbes. Uraufführung? Stiftungs-Geschäftsführerin Laura Holtorf erklärt am Telefon, warum der Begriff nicht ganz falsch ist.

Bei „Alice in den Städten“ zum Beispiel hat Wenders, der an der Digitalisierung seines Filmerbes mit großer Leidenschaft beteiligt ist, das Format korrigiert. 1973 wurde notgedrungen auf 16 Millimeter gedreht, aus Kostengründen. Trotzdem stellte Kameramann Robby Müller den Sucher auf das gewünschte größere Breitwandformat ein. Jetzt wird der Wunsch endlich Wirklichkeit.

Analog wird digital, und der Künstler ändert nachträglich sein Werk? Das führt zu Diskussionen, meint die Kunsthistorikerin Holtorf.

Auch wenn bei der Restaurierung der Handke-Adaption „Die Angst des Tormanns vorm Elfmeter“ die Musik teilweise ausgetauscht wird, da die Rechte etwa für einen Elvis-Song nur für die TV-Ausstrahlung abgedeckt waren und fürs Kino unerschwinglich sind. Was bitte ist nun das Original?

Zehn Millionen jährlich

Es geht also um mehr als schnöde Technik, wenn das Filmmaterial vom Zelluloid nach diversen Zwischenphasen nun auf digitale Kopien migriert, sogenannte DCPs (die Abkürzung für Digital Cinema Package).

Seit Januar läuft die nationale „Digitalisierungsoffensive“ zur Rettung des Filmerbes. Zehn Millionen Euro stehen jährlich bereit, zehn Jahre lang.

Natürlich lassen sich mit 100 Millionen nicht sämtliche deutsche Filme digitalisieren, einschließlich Wochenschauen und Werbeproduktionen. Aber das vom Bund, den Ländern und der branchenfinanzierten Filmförderanstalt (FFA) zu gleichen Teilen getragene Langzeitprojekt schlägt Schneisen ins Dickicht der Filmgeschichte. Rechteinhaber können konservatorische, kuratorische oder kommerzielle Gründe geltend machen, wenn sie bei der federführenden FFA Gelder beantragen.

Ist nun alles gut?

Das heißt, entweder ist Gefahr in Verzug, weil der Filmstreifen vom Essigsyndrom befallen ist. Oder ein Werk wird als kulturell wichtig angesehen. Oder es soll im Kino, im TV gezeigt werden.

Seit Januar wurden Gelder für 175 Filme bewilligt, insgesamt seit Anfang des Jahrzehnts etwa tausend gesichert und restauriert. Kostenpunkt: 10 000 bis 70 000 Euro. Über die Anträge entscheiden Gremien; für den Defa-Zweiteiler „Die rote Kapelle“, eine 70-Millimeter-Produktion, gab es sogar 120 000 Euro.

Von Wenders bis Wochenschau: Ist nun alles gut, nachdem es ausgerechnet in der Kulturnation Deutschland so lange gedauert hat, bis die Haushälter davon überzeugt werden konnten, dass der Film als Gedächtnis der Gesellschaft vor dem Verfall bewahrt werden muss?

Filmhistoriker verfassten Brandbriefe, Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte Mühe, vor allem jene Bundesländer mit ins Boot zu holen, die keine Förderanstalt ihr eigen nennen, also auch keine „eigenen“ Produktionen. Noch im Vorjahr waren nur 3,3 Millionen Euro im Topf.

Vielfalt sichern

„Wir sind sehr zufrieden“, sagt Rainer Rother, Direktor der Deutschen Kinemathek. Obwohl Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Dänemark quantitativ weiter sind.

Rother schätzt das Drei-Säulen-Modell, weil es zum qualitativen Umgang verpflichtet. „So können wir die Vielfalt sichern“, sagt er. „Die innovativen Werbefilme der 1910er und 1920er Jahre würden in Frankreich durchs Raster fallen.“

Auf der Liste der gesicherten oder bewilligten Titel stehen nicht nur Klassiker, Experimentelles und Filmkunst, sondern auch Kinderfilme, Defa-Märchenproduktionen oder Kassenhits wie „Otto – Der Film“ und „Werner Beinhart“.

Es fehlt an Personal und Infrastruktur

Planbarkeit und Budgeterhöhung werden vielfach begrüßt. Defa-Stiftungschef Ralf Schenk findet es gut, dass die Digitalisierung nun in geordneten Bahnen läuft.

Wegen des Mauerfalljubiläums ist die Nachfrage nach DDR-Filmproduktionen ohnehin gerade groß. Gleichzeitig weist Schenk darauf hin, dass es etwa im Bundesarchiv als Lagerstätte an zusätzlichem Personal und Infrastruktur fehlt. Auch deshalb läuft das Programm nur zögerlich an.

Dass die Nachfrage bis zur Jahresmitte noch verhaltener war, bestätigt Markus Kirsch von der Münchner Traditionsfirma Arri. Wie im Vorjahr scannt und restauriert Arri im Schnitt drei aufwändig digitalisierte und restaurierte abendfüllende Filme pro Monat, neben den sogenannten Bestandsdigitalisierungen.

Eine hochwertige Bearbeitung braucht Zeit und erfordert qualifiziertes Personal. Nächstes Jahr werden es hoffentlich vier, meint Kirsch. Zu den Kunden von Arri gehören neben der Wenders-Stiftung auch die Fassbinder Foundation, die Constantin, die Kinematheken.

Dummerweise müssen die Dienstleister ihre Angebote abgeben, bevor sie den genauen Zustand des Materials kennen. Die Befundung, so das Fachwort, erfolgt deshalb erst nach der Bewilligung der Gelder.

Wenn sich unerwartete zusätzliche Mängel auftun, kann nicht nachfinanziert werden. Auch die Erstellung der gesetzlich vorgeschriebenen Fassung für Hör- und Sehgeschädigte (mit Untertiteln und Audiodeskription) kostet extra.

Wer kümmert sich um verwaiste Filme?

Omnimago-Geschäftsführer Peter Fries war für 2019 ebenfalls optimistischer. Noch zumindest gibt es keine Engpässe bei dem Dienstleister mit Sitz in Ingelheim. Die Firma konnte mit ihrem schnelleren Scanity-Gerät, das bis zu 15 Bildern pro Sekunde scannt, dieses Jahr rund 40 Spielfilme bearbeiten sowie weitere TV-, Dokumentar- und Kurzfilme.

„Mehr als vier, fünf Spielfilme pro Monat lassen sich hochwertig kaum komplett digital restaurieren“, sagt Fries.

Mit allzu großem Risiko können solche Firmen nicht in die Zukunft investieren. Denn die hochwertige Technik ist teuer, das Datenhandling erfordert erfahrene Mitarbeiter. Ihnen werden ja oft kostbare Filmschätze anvertraut.

Dabei sind keineswegs nur Stummfilme vom Verschwinden bedroht, zumal bei manchem „verwaisten“, sprich: rechtefreien Werk unklar ist, wer sich überhaupt kümmert.

Her mit den Retrospektiven!

Unter den frisch digitalisierten Filmen befinden sich auch solche von Christian Petzold oder Maren Ade. Ob historisch oder jüngeren Datums: Filme existieren nicht, weil ihre Daten gesichert sind (im Idealfall dreifach gespeichert, an verschiedenen Orten), sondern wenn Menschen sie sehen.

Also her mit den Retrospektiven, den Werkschauen und Filmreihen: Nicht zufällig hat die Berlinale die Reihe „Classics“ installiert und zuletzt gleich drei Retros mit deutschen Sujets veranstaltet.

Dominik Graf, dessen restaurierter Actionthriller „Die Sieger“ ebenfalls auf dem Festival lief und kürzlich auf Blu-Ray herauskam, findet allerdings, das eigentlich zu Rettende sei das Material. „Film ist Film. 35 Millimeter, 16 Millimeter, Super 8. Alles andere ist der Versuch eines Placebos“, sagte er der „taz“.

Zwar bewahren die Archive auch die guten alten Filmrollen auf, aber wo gibt es noch analoge Projektoren? Und welcher Vorführer kann sie noch bedienen?

[Am Donnerstag eröffnet im Berliner Kino Arsenal die vierte Ausgabe des Festivals „Film-ReStored“ (bis 27.10.), diesmal zum Schwerpunkt Filmton.

Die Vorführungen sind öffentlich, z. Bsp. von Thomas Arslans „Mach die Musik leiser“ (24. 10., 20 Uhr) oder von Filmen mit Audiodeskription für Sehbehinderte (27. 10., 14 Uhr).

Christiane Peitz moderiert ein Fachpodium zur Digitalisierungsoffensive]

Auch weiß niemand so recht eine Antwort auf die Frage, worauf die jetzigen DCPs in 20 Jahren abgespielt werden können. Stichwort Langzeitsicherung: Frankreich leistet sich für restaurierte Filmschätze eine analoge Rückbelichtung auf 35 Millimeter.

Das kostet 30 000 Euro oder mehr, auf Dauer ist diese analoge Sicherung keine Option. Wird das Bundesarchiv, das derzeit allein von seinen eigenen 155 000 Filmarchivalien Rohscans erstellt, also bald zum Mega-Rechenzentrum? Landet das Filmerbe demnächst in den Riesenclouds von IT-Konzernen wie Amazon und Microsoft?

Die Digitalisierungsoffensive ist ein Anfang. Die Zukunft des Films ist noch lange nicht gerettet.

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