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Kultur: Wie du mich siehst

Eine Autobiografie in Bildern: Annie Leibovitz’ intimer Fotoband „A Photographer’s Life“

Eine Autobiografie in Bildern, geht das? Sieht der Fotograf nicht notwendigerweise immer die anderen, wenn er fotografiert? Sicher, es gibt die Form des Selbstporträts, nicht unproblematisch in der Fotografie, schwierig dabei, die Kamera zu verbergen, das eigene Bild über Spiegel und schräge Blickwinkel unverfälscht wiederzugeben, viele Fotografen haben damit herumexperimentiert. Doch Selbstporträts hat die amerikanische Starfotografin Annie Leibovitz kaum geschossen. Sie hat die anderen fotografiert, ihre Mutter, ihre Familie, ihre drei spät geborenen Kinder, und, immer wieder, ihre Lebensgefährtin Susan Sontag. Auch das ist eine Autobiografie, ein Leben im Bild der geliebten Menschen. Zeige mir, wen du liebst, und ich sage dir, wer du bist.

Ziemlich genau die fünfzehn Jahre, die sie mit Susan Sontag verbracht hat, umfasst der neue Bildband „A Photographer’s Life“, der alles in einem ist, Tagebuch, Werkschau, privates Fotoalbum, vor allem aber Erinnerung an die Ende Dezember 2004 verstorbene Freundin. „Jede Fotografie ist eine Art memento mori“, hat Susan Sontag in ihrem Essay „In Platos Höhle“ geschrieben. Genau das ist auch Leibovitz’ Bildband, zusammengestellt aus privaten Zufallsaufnahmen, die sie im Laufe der Zeit schoss, danach in eine Schachtel warf und lange Jahre vergaß. Erst der Plan, zu Susan Sontags Gedenkgottesdienst eine kleine Bildbroschüre herzustellen, ließ sie die Filme wieder herauskramen und entwickeln. Nun sind die Bilder in einer Ausstellung zu sehen, derzeit im Brooklyn Museum New York (noch bis 21. Januar), danach in San Diego, Atlanta, Washington, Paris, London, vielleicht auch später in Deutschland. Der Bildband, den der Schirmer/Mosel-Verlag gerade auf Deutsch herausgebracht hat, war in erster Auflage sofort vergriffen.

Da ist nichts mehr übrig von der vollendeten Künstlichkeit, mit der Leibovitz die Stars dieser Welt in Szene setzte, akribisch vorbereitet, alles bis ins Detail geplant. Nicole Kidman, umspielt von Tüll und Pailletten, im gleißenden Scheinwerferlicht, ein Märchentraum. Scarlett Johansson, im knappen Glitzertop, lasziv hingestreckt auf einem Sofa in Hollywood. Die schwangere Demi Moore, ein Foto, das Geschichte geschrieben hat. Jack Nicholson im Morgenmantel beim Golf, Quentin Tarantino verwegen in der Limousine, der ganz junge Leonardo di Caprio, der einen Schwan um den Hals geschlungen trägt, Brad Pitt in Leopardenhosen cool auf dem Bett ausgestreckt. Berühmte Bilder, teure Bilder. Sicher, auch sie sind im Werkverzeichnis enthalten: „Ich führe keine zwei getrennten Leben. Ich habe ein einziges Leben, und zu dem gehören die privaten Bilder ebenso wie die Auftragsarbeiten“, schreibt Leibovitz in der Einleitung.

Den Schwerpunkt jedoch bilden die privaten Aufnahmen. Und da ist nichts geplant, nichts vorbereitet. Die dickliche, vergnügte Mutter Leibovitz, die am Strand mit ihren Kindern tollt, der Vater, der sich gerührt über sein Enkelkind beugt, die Familie beim Frühstück, die Eltern im Bett. Bilder wie aus jedem Familienalbum. Vor allem aber gibt es Bilder von Susan Sontag. Susan im Schlafanzug hingestreckt auf dem Sofa in Long Island. Susan beim Radfahren. Susan müde auf dem Beifahrersitz, während einer Autopause in Mexico. Susan verstrubbelt beim Frühstück im Gritti Palace Hotel, Venedig. Oder konzentriert bei der Arbeit. In Turnschuhen, entspannt, beim Mittagsschlaf in Berlin. Und, eine der schönsten Aufnahmen, Susan vor den Grabanlagen im jordanischen Petra, von hinten aufgenommen, eine verschwindend kleine Gestalt am Ende einer dunklen Schlucht, und vor ihr, monumental, sonnenbestrahlt, die antiken Überreste.

Aber eben auch: Susan nach ihrer ersten Krebsoperation 1998 im Krankenhaus, halb besinnungslos, das Krankenhausnachthemd unvorteilhaft verrutscht. Susan nach der Chemotherapie, die berühmte dunkel-weiße Mähne raspelkurz geschnitten. Susan im November 2004 im Krankenhaus in Washington, aufgeschwemmt und im Delirium, dann beim Krankentransport aus Seattle, und schließlich aufgebahrt in ihrer Wohnung, am 29. Dezember 2004, ein Tag nach ihrem Tod. Das Kleid, das sie trägt, hatte sie mit Annie in Venedig gekauft.

Das sind persönliche, intime Fotos. Und natürlich, hört man, dass die Ausstellung durch alle Welt tourt, stellt sich Beklemmung ein. Der Voyeurismus, den Susan Sontag als Grundmotiv allen Umgangs mit Fotografie ausgemacht hat, greift er nicht auch hier? Würde man sich für diese von schwerer Krankheit und nahendem Tod gekennzeichnete Frau interessieren, wüsste man nicht, dass es die berühmte Schriftstellerin ist? Oder für das Bild einer älteren Schwangeren, die ihren Körper, ihre schweren Brüste stolz in die Kamera hält, wenn man nicht wüsste, dass es Annie Leibovitz selbst ist, ein Foto ist, eines der wenigen, welches ihre Lebensgefährtin von ihr schoss? Die Intimität, die Zärtlichkeit, die Nähe und fehlende Scham, die aus all diesen Bildern spricht – will man das wirklich sehen, wohl wissend, wie diskret die beiden zu Lebzeiten von Susan Sontag mit ihrer Beziehung umgegangen sind? Sind diese Aufnahmen, privat wie sie sind, nicht dadurch auch banal?

Ja, man will sie sehen. Denn nichts in diesen Bildern spricht von Ausbeutung oder Gier nach Öffentlichkeit. Und alles für Wahrhaftigkeit, jene Wahrhaftigkeit, die Susan Sontag von der Fotografin bei ihrer ersten Begegnung 1985 einforderte: Sie möge bessere Bilder machen, wahre Bilder, keine kommerziellen, hatte Susan Sontag der 16 Jahre Jüngeren damals geraten. In dem Maße, in dem sie sich daran gehalten hat, ist Annie Leibovitz von der Modefotografin zur Künstlerin geworden. Und wie Künstler vor ihr, wie Dürer, Rembrandt, Rubens, hat sie nicht nur die Schönheit des geliebten Menschen eingefangen, sondern auch sein Altern, seinen Verfall. Wie sagte Susan Sontag in ihrem Essay über Fotografie: „Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen.“ Diese Teilnahme ist ein Liebesbeweis.

— Annie Leibovitz,

A Photographer’s Life 1990-2005, Schirmer Mosel Verlag München, 480 Seiten, 300 Bilder, 78 Euro.

Christina Tilmann

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