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Kultur: Wie Esso zu LSD wurde

Vor 30 Jahren entstanden die kuriosen Werke von Öyvind Fahlström. Jetzt werden sie wiederentdeckt

Irgendwann zu Beginn der Siebzigerjahre stellte sich einmal die New Yorker Polizei selbst auf die Probe. Undercover-Agenten erschienen auf den Revieren, um in den Fundbüros gut gefüllte Portemonnaies abzugeben, die sie angeblich auf der Straße gefunden hatten. 51 Polizisten wurden getestet, dreißig Prozent steckten die Geldbeutel in die eigene Tasche. „Und“, fragt Öyvind Fahlström, nachzulesen in seiner Zeichnung „Column no. 4 (IB-Affair)“, „wurden sie gefeuert?“. Antwort, ebenfalls in „Column no. 4“: „Nein, Ihnen wurde ein bisschen Urlaub gestrichen.“

Und das ist nur der Anfang. Texte, oft nur ein paar Zeilen lang, Zahlen, Nachrichten im Telegrammstil – das Blatt im Posterformat ist voll davon, und manches, was man da nach und nach entziffert, treibt dem Betrachter die Blässe ins Gesicht. Die Foltermethoden der chilenischen Militärdiktatur, Energiekrisen im Dienste der Ölindustrie, die durchschnittliche Verweildauer Schizophrener im Krankenhaus („60–80 Tage, und die früheren Patienten sind wieder zurück in ihren Gemeinden“) – es ist eine krude Mischung aus Schock und rechtschaffener Empörung, aus Anklage gegen „die da oben“ und Boulevard, die Fahlström seinem Publikum vor genau dreißig Jahren auf „Column no. 4“ präsentierte.

Das war typisch für den späten Fahlström. In seinen letzten Jahren hatte er sich auf oft sehr fleckig bunte, an Untergrund-Comics angelehnte Siebdrucke verlegt: Botschaften im Geiste der Aufklärung der Studentenunruhen, Agit-Prop der 68er-Revolution, aufgedeckte Skandale im Großen wie im Kleinen. Drei dieser großformatigen Blätter stehen im Zentrum der Ausstellung mit Werken des 1976 verstorbenen Künstlers, die die Galerie Johann König derzeit zeigt: „Column no. 4“ (Auflage 300, 2800 Euro), „Column no. 2 (Picasso 90)“ von 1973 (Auflage 120, 3600 Euro) und Fahlströms wohl bekannteste Zeichnung, „Sketch for World Map – Part I (Americas, Pacific) von 1972, die ursprünglich, dem massenwirksamen Impetus ihres Urhebers folgend, als Beilage der Mai-Ausgabe der linksgerichteten Zeitschrift „Liberated Guardian“ erschienen war (in einer Auflage von ca. 7300, davon sind etwa 300 erhalten, 1600 Euro).

Darum herum hat Johann König einige Arbeiten gruppiert, die sich teils wegen des aufwändigen Druckverfahrens („Chile 1“, Siebdruck auf Leinen, Auflage 100, 18 000 Euro), teils weil es Einzelstücke sind („Black House“, 90000 Euro) im Preis deutlich von den Drucken höherer Auflagen unterscheiden. Auch Fahlströms seinerzeit wohl berühmtestes Werk, das „Esso“-Tankstellenschild, welches mit dem „LSD“-Schild im gleichen Design ein Bürgerschreck-Gegenstück verpasst bekam, ist bei König zu sehen. Die beiden Acryl-Schilder sind allerdings unverkäuflich.

Das 1928 in São Paulo als Sohn eines Norwegers und einer Schwedin geborene Multitalent war seiner Zeit weit voraus. Mit 24 Jahren veröffentlichte Fahlström seine ersten konkreten Gedichte, ein Jahr darauf ließ er das „Manifest för konkret poesie“ folgen, mit dem er sich einen Platz in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts sicherte. Danach arbeitete Fahlström als Journalist und Filmemacher, schrieb Theaterstücke und Features fürs Radio. 1961 ging er mit einem Stipendium der schwedisch-amerikanischen Akademie nach New York, wo er sich dauerhaft niederließ. Er vertrat Schweden auf den Biennalen von São Paulo und Venedig und nahm 1968 an der Documenta IV in Kassel teil.

Auch wenn seine Werke aus dem Abstand von drei Jahrzehnten bisweilen etwas hippiesk und rührend antiquiert wirken, so war Fahlström doch in seinem politisch-kritischen Anspruch einer der wichtigsten Wegbereiter jener sozial engagierten Unterweisungskunst, die heute gang und gäbe ist. Die Form mag Patina angesetzt haben, ihre Spuren aber sind allgegenwärtig.

Galerie Johann König, Weydingerstraße 10, bis 28. August, Dienstag bis Sonnabend 11–19 Uhr.

Ulrich Clewing

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