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Kultur: Wie schmeckt Hund?

Von Petra Rathmanner Wie verliebt man sich in Kaliningrad? Was erlebt ein Matrose auf der gefürchteten „Russischen Insel“?

Von Petra Rathmanner

Wie verliebt man sich in Kaliningrad? Was erlebt ein Matrose auf der gefürchteten „Russischen Insel“? Wie wird man in Estland zu einem Mörder? Wovon träumen Drogensüchtige in Irkutsk? Wie gründet man in Toronto eine Familie? Antworten auf diese und ähnliche Fragen wurden bei „forumfestwochen ff“ gegeben, einer neuen Programmschiene der Wiener Festwochen. Konzipiert von der neuen Schauspieldirektorin Marie Zimmermann und dem Dramaturgen Stefan Schmidtke, ist das Forum vom Geheimtipp zum Highlight avanciert.

Das „offene Fenster für zeitgenössisches Theater“ bestand aus vier Workshops für junge Theatermacher, Diskussionen über Theater in Polen, Russland und Serbien sowie sieben Inszenierungen, mit denen ein Bogen von Kanada bis Sibirien gespannt wurde. Erstaunlicherweise hat das Forum auch die unterschiedlichsten Publikumsschichten angelockt. In einem der kleinsten Wiener Theaterhäuser, das bei hundert Besuchern aus allen Nähten platzt, saßen dann Festivalbesucherinnen in tadellosen Faltenröcken neben Theatergängern in Schlabberhosen.

Was Alt und Jung gleichermaßen angezogen hat, waren Stücke, die sehr kurz, meistens nicht länger als ein bis zwei Stunden, aber äußerst präzise Alltagsgeschichten erzählt haben. Unberührt von der hippen Behauptung eines „Lebensgefühls“, stand in diesen Produktionen die eigene Befindlichkeit nur zur Debatte, um sich in einer Welt zurechtzufinden, für die es keinen Kompass mehr gibt. Der Meister der Innenschau war zweifelsohne Jewgenij Grischkowetz.

Der junge russische Schauspieler, Regisseur und Autor kommt aus Kaliningrad und wird derzeit von einem Festival zum nächsten gereicht. Er nennt sich selbst einen „neuen Sentimentalisten“, der nichts weniger als „eine Erkundung unserer Existenz“ vorhat. Die Stücke von Grischkowetz sind eine einzige Abschweifung – vom Alltäglichen zum Philosophischen, vom fröhlichen Küchengeplauder zum hochnotpeinlichen Geständnis. In „Wie ich einen Hund gegessen habe“ erzählt er über seinen Wehrdienst bei der Marine. „Planeta“ ist die Geschichte einer – freilich unglücklichen – Liebe.

Das Spektrum der Erzählformen reichte von romantischen Alltagsbeobachtungen eines Grischkowetz bis zu hartem Realismus. „Es war der Versuch, Wirklichkeit direkt aus dem Alltag auf die Bühne zu holen“ sagt Schmidtke, der früher im Leitungsteam der Berliner Baracke saß, für das Festival „Theaterformen" arbeitete und sich als Vermittler zwischen dem Theater aus dem Osten und dem Westen bereits einen n gemacht hat. Die meisten der eingeladenen Produktionen zählten zum Genre des Autorentheaters, wo Regisseure und Schauspieler sich mittels eigener Recherche einem Thema nähern, ohne vorgefertigte Dramentexte. Nicht selten waren politische Fragen der Ausgangspunkt, der indes rasch von Erkundungen der (russischen) Seele überlagert wurde.

„Ich kann die Menschen nur emotional mitfühlen lassen, was mir unter den Nägeln brennt“, sagt Regisseur Iwan Wyrypajew aus Irkutsk. Seine Inszenierung „Sny“, in der Drogensüchtige eine Art Traumtheater delirieren, entstand in Zusammenarbeit mit Ärzten, die Drogenkranke behandeln. Das Kiewer Theater „Dach“ hat in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ folkloristische Erforschungen des ukrainischen Brauchtum unternommen. Merle Karusoo, Regisseurin und Soziologin aus Estland, ist bekannt für ihre Methode, sich einem Thema mit Interviews zu nähern. Aus den zusammengetragenen Lebensläufen montiert sie dann ihre Stücke. Für „Save our Souls“ hat sie sich in Gefängnissen umgehört: Warum wird ein Mörder zu einem Mörder? Auf einem realen Verbrechen beruht auch das Stück „Die Schaukel“ der jüdischen Autorin Edna Mazya: Vier Jugendliche haben ein Mädchen vergewaltigt und finden vor Gericht viel Verständnis für ihre Tat.

Regisseur Sebastian Nübling zeigt mit den Schauspielern vom Jungen Theater Basel ein präzises Körpertheater, das einem das Herz zuschnürt. Aus Toronto kam „Recent Experiences“, eine fragmentierte Familiensaga, die von 1900 bis in die Gegenwart reicht. „Wir erzählen uns Geschichten um zu überleben“, sagte einmal Susan Sontag.

Genau daran hat sich das neue Wiener Festwochen-Forum gehalten, mit unprätentiösen Arbeiten, die keine exotische Trennlinie mehr zwischen Ost- und Westtheater ziehen. Selten war das Theater so neugierig auf Leben.

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