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Kultur: Wie viel Schiller darf es sein?

Eine Berliner Matinee mit Horst Köhler

„Mich ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum“, spricht Karl Moor bei Schiller, „wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen.“ Das große Erbe anzunehmen und produktiv zu machen, das war immer ein Anliegen der deutschen Klassik. In Zeiten wahrer oder vermeintlicher Krise fällt der Blick unweigerlich aufs Vergangene. Für die Annahme eines teils verschütteten Erbes warb auch Bundespräsident Horst Köhler. Den Begriff der Kulturnation wollte er in seiner ersten kulturpolitischen Grundsatzrede bei einer sonntäglichen Schiller-Matinee am Berliner Ensemble wieder ins Gespräch bringen.

Wie diese Kulturnation sich heute zu definieren hätte, blieb allerdings vage. Zuallererst, so Köhler, brauche es Gelassenheit und – warum auch nicht – „bescheidenen Stolz“ bei der Annahme des Erbes. Sodann kommt der kreative Umgang mit ihm, um „Kraft zu schöpfen und Funken zu schlagen für die Zukunft“. Denn Kreativität sei „das Wichtigste, das aus der Freiheit“ kommt. Und die ist bekanntlich bei keinem besser zu erlernen als bei Schiller. Dass Köhler sich einen frischen Unterricht wünscht, der auch das Auswendiglernen von Gedichten nicht ausschließt – dagegen ist nichts einzuwenden. Es waren klare, unprätentiöse, wenngleich erwartbare Worte, die der Bundespräsident sprach. Die kulturelle Hau-Ruck-Rede aber war es nicht.

Wie die Kunst, die bei Schiller ihren Zweck in sich selbst zu finden hat, mit einer utilitaristisch geprägten Gesellschaft zu verkoppeln wäre, wie Schönheit und Politik zusammenkommen, wollte dann ein hochkarätig besetztes Podium ergründen. Freilich muss bei Schiller alles durch die Kunst hindurch. Ulrich Raulff, Direktor des Schiller-Nationalmuseums und des Deutschen Literaturarchivs, brachte den Begriff des „ästhetischen Staates“ ins Spiel. Schiller-Biograf Rüdiger Safranski plädierte mit Schillers „Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung“ für einen recht dehnbaren Einklang des Gefüges, das beide Elemente zu ihren besten Momenten führt. Kunst und Politik gelangen im Konkreten doch recht schwer zueinander.

Schillerschen Enthusiasmus ließ vor allem Claus Peymann spüren. Allerdings in eigener Sache. Da Horst Köhler sich den „ganzen Schiller“ auf der Bühne gewünscht hatte und Peymann eine Attacke aufs Regietheater witterte, musste sich der Bundespräsident vom Theaterdirektor einen „anregenden, intelligenten Amateur“ nennen lassen. Und während Peymann und der Dramatiker Moritz Rinke noch über das Für und Wider des Regietheaters stritten, geriet die Kulturnation zusehends in den Hintergrund. Dabei hatte Horst Köhler die eigentlich interessante Frage gestellt: Ob und wie der Klassiker Schiller unter den Bedingungen einer interkulturellen, immer mehr durch Migration geprägten Gesellschaft noch zur Identitätsfindung beitragen könne.

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