zum Hauptinhalt
Im Clinch. Huw Montague Rendall als Hamlet (links) und Kjell Brutscheidt als Narr.

© Monika Rittershaus

Wiederentdeckung an der Komischen Oper: Ein Triumph für Hamlet - und Ophelia

Ein Ereignis. Dirigentin Marie Jacquot und Regisseurin Nadja Loschky entstauben an der Komischen Oper Berlin eine 1868 uraufgeführte „Hamlet“-Oper.

„Man muss schon verrückt sein, um sich auf dieses Leben einzulassen“, sagt die Dirigentin Marie Jacquot in der aktuellen Ausgabe des Klassikmagazins „Concerti“. Und meint damit ihr berufliches Leben, vor allem das, was sich hinter den Kulissen von Opernhäusern abspielt. Denn: „Die Maschinerie ist derart komplex, dass man wirklich manchmal die Nerven verlieren könnte.“

Im Idealfall aber greifen alle Rädchen des Getriebes ineinander, harmonieren die künstlerischen und technischen Abteilungen, verschmelzen Musik, Schauspiel, Kostüme, Bühne und Licht zu einer Einheit – und dann entsteht Magie. So wie am Sonntag in der Komischen Oper, bei der Wiederentdeckung einer 155 Jahre alten „Hamlet“-Vertonung.

Allein die Idee einer Shakespeare-Vertonung gilt Puristen ja schon als Sakrileg, und auch der französische Komponist der Oper, Ambroise Thomas, hat nicht den besten Ruf, obwohl er zu Lebzeiten sehr erfolgreich war. Heute jedoch gilt er als konventionell.

Pures Musiktheaterglück

Solche Zuschreibungen entstehen allerdings oft aus purer Unkenntnis – wie jetzt die umjubelte „Hamlet“-Premiere an der Behrenstraße beweist: Denn wenn das richtige Team so einen Ladenhüter aus der Notenbibliothek entstaubt, wenn alle Beteiligten die Partitur ernst nehmen, ihr mit Gespür für die Ästhetik der französischen Grand Opéra des 19. Jahrhunderts begegnen und sie durch leidenschaftliches Spiel zu neuem Leben erwecken, dann können dreieinhalb Stunden pures Musiktheaterglück entstehen.

Getragen wird dieser Abend dabei von einem fantastischen Paar: von Liv Redpath als Ophélie nämlich und Huw Montague Rendall in der Titelrolle. Selten erlebt man in der Oper so glaubwürdige Liebende und Leidende. Beide sind beweglich wie Sprechtheaterprofis, mutig, agil, anrührend – und singen dabei so grandios, dass einem die Ohren klingen.

Szene mit Huw Montague Rendall als Hamlet und den Chorsolisten der Komischen Oper
Szene mit Huw Montague Rendall als Hamlet und den Chorsolisten der Komischen Oper

© Monika Rittershaus

Liv Redpaths Koloraturen sind glockenhell, mühelos, verführerisch, wirken jedoch nie als akustischer Zierrat, sondern sind ehrlicher Ausdruck von innerer Zerrissenheit. Huw Montague Rendall hat tolle Powertöne für das trotzig geschmetterte Trinklied, attackiert kraftvoll König Claudius und seine mörderische Mutter, gebietet aber auch über tausend faszinierende Facetten für die verschatteten Seelen-Seiten Hamlets.

Förmlich ins Geschehen hineingesogen wird das Publikum vom Bühnenbild. Etienne Pluss erklärt Helsingör zum Spukschloss, in der großen Treppenhalle geschehen wunderliche Dinge, ein Vorhang schneidet durch Wände, Herren mit Melone und Regenschirm tauchen auf, die Protagonisten haben tanzende Doppelgänger. Regisseurin Nadja Loschky zielt auf die typisch shakespearesche Dualität von Drama und Groteske, vor allem aber wertet sie mit kluger Personenführung die holzschnittartigen Libretto-Figuren zu echten Charakteren auf.  

Hier stimmt wirklich jede Bewegung, jede Regung mit der Musik überein, die mitreißend und klangfarbensprühend aus dem Graben tönt. Marie Jacquot hat keine Angst vor posaunengrundiertem Pathos, knalligen Massenszenen oder hyperromantischer Melodieseligkeit. Und das Alleskönnerorchester der Komischen Oper zieht hundertprozentig mit bei ihrer zupackenden Interpretation, ebenso wie jede und jeder auf der Bühne, von Jens Larsens grandios gruseligem Geist über Karolina Gumos als charismatischer Königin bis hin zu den - wie immer famosen - Chorsolisten.

Dieser „Hamlet“ ist nicht nur eine echte Wiederentdeckung, sondern ein richtiger Inszenierungs-Coup. Wer opulente Oper liebt und sich dieses Spektakel entgehen lässt, ist selbst schuld. Britische Kritikerkolleg:innen würden es wohl so formulieren: Kill for a ticket!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false