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Wiener Burgtheater: Der Teufel mit dem Laptop

Matthias Hartmann beginnt seine Burgtheater-Intendanz in Wien mit "Faust I und II" und einer Schimmelpfennig-Uraufführung.

„Mit einem Aplomp“ wollte Matthias Hartmann als Direktor seine Intendanz am Wiener Burgtheater eröffnen. Wie ein Showmaster inszenierte er seine Antrittspressekonferenz im April 2009, verkündete, „Sie haben das Beste gewollt. Sie bekommen es.“ Und entfachte im Vorfeld seiner Einstandsinszenierung von „Faust I und II“ ein wahres Medienspektakel aus Interviews und Vorberichten; selbst das Österreichische Fernsehen gewann er zu einer Live-Übertragung des Premierenabends. All das erinnerte an Peymanns Wien-Antritt. War Hartmanns Bestellung als Nachfolger von Klaus Bachler als „Triumph der Vernunft“ kommentiert worden, so zeigte sich bei seiner Einstandsinszenierung auch gleich die Kehrseite der auf satte Auslastungszahlen schielenden Entscheidung für den routinierten Theatermanager: Das enttäuschende Mittelmaß von Theater als kulinarisch-kalkuliertem Quotenbringer, das bei seiner Premiere mit Pfiffen quittiert wurde. Im Gegensatz dazu gelang am zweiten Abend von Hartmanns Eröffnungsmarathon – sechs Premieren in einer Woche – ein Abend der zarten Töne im Akademietheater.

Es ist ein Spiel der Verwandlung und des Geschlechtertausches, das in Roland Schimmelpfennigs neuestem Stück „Der goldene Drache“ die Hauptrolle spielt, dessen Uraufführung der deutsche Erfolgsdramatiker am Wiener Akademietheater mit einem konzentrierten Ensemble nun selbst inszeniert hat. Ein magisch-realistisches Szenenmosaik über die Bewohner eines Hauses, in dem eine Ehe zerbricht, eine junge Chinesin vergewaltigt und permanent gekocht wird: In der Küche des Asia-Restaurants „Der goldene Drache“ windet sich ein junger Chinese vor Zahnschmerzen und schreit, bis ihm mit der Rohrzange der Zahn gezogen wird und er verblutet. Die Reise, die er angetreten hatte, um in der Fremde seine verschollene Schwester zu finden, endet für ihn in einem Fluss, der ihn heimwärts treiben wird – Strandgut unserer vernichtend-banalen Verhältnisse.

Johannes Schütz’ bis auf ein paar Holzstühle, einen chinesischen Gong und wenige Requisiten nahezu leere Spielfläche gibt den gleißend-weißen Raum für Schimmelpfennigs zwischen Melancholie und Humor changierenden Abgesang auf die verstörte Agonie unserer westlichen Mittelstandsgesellschaft. Seine filmische Short-Cut-Dramaturgie mit rasenden Szenen- und permanenten Rollenwechseln für fünf Schauspieler, die siebzehn Figuren unterschiedlichen Alters und Geschlechts verkörpern, realisiert Schimmelpfennig mit flirrender Leichtigkeit – in seinem knappen, alltagssprachlichen Stilpluralismus. Ein rotes Kleid an die Brust pressend, wird Falk Rockstroh zur treulosen Ehefrau, in einem weißen Seidennachthemd Philipp Hauß zu einer jungen Chinesin und Johann Adam Oest zu einer Stewardess mit orangem Halstuch. Bei Schimmelpfennig zeigt sich derart eine surreale Ebene als wesentlicher Bestandteil unserer Realität. Gleichzeitig enthüllt er damit die Kehrseite gewinnorientierten Vernunftstrebens: den irrationalen Zerstörungstrieb, bar aller Empathie. „Der goldene Drache“, mystisches Zeichen für Reichtum, entfacht in den Händen des regieführenden Autors Schimmelpfennig die Imagination des Zuschauers und bringt die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen: Das lustvolle „Als Ob“ im Spiel der Verwandlung als utopischer Funke gesellschaftlicher Veränderung.

Die Janusköpfigkeit der Vernunft, deren Schlaf Ungeheuer gebiert, thematisierte Goethe in seinem dramatischen Weltgedicht „Faust“, das Matthias Hartmann in beiden Teilen einen Tag zuvor auf die Burg-Bühne gestemmt hatte. Doch anstatt sich für den tieferen Gehalt dieses dramatischen Weltgerichts zu interessieren, das die Tragödie des Vernunftmenschen vor dem Hintergrund eines uneingelösten, sozialrevolutionären Impetus der Französischen Revolution als Teufelspakt exponiert, arrangiert Hartmann ein volkstheaterartiges Possenspiel.

Goethes zerstörerischen Faust gibt Tobias Moretti als barhäuptigen Forscher mit Nickelbrille vor einem Laptop, in den er sein „Habe nun, ach!“ tippt, bevor er ihn wütend zertrümmert. Es ist das Arsenal der großen Gesten und griffigen Bilder, aus dem Hartmann schöpft, wenn sich in Fausts Studierstube ein Müllhaufen aus Büchern und kaputten Büroutensilien ergießt und in der Folge weiße Kuben auf der ansonsten leeren, schwarzen Bühne die raschen Szenenwechsel von Auerbachs Keller in die Hexenküche bis in Gretchens Kammer ermöglichen (Bühne: Volker Hintermeier).

Gert Voss’ als Mephisto – in zu kurzen schwarzen Hosen und mit rot geschminkten Lippen ein Teufel als clownesker, weltgewandter Lebemann – gibt mit Lust an Lachern den gewieften Possenreißer. Er mimt den Pudel, jault und knurrt, und führt doch als Alleinunterhalter einen blass-desorientierten Faust an der Leine durch der Tragödie ersten Teil. Neben Ignaz Kirchner als Hexe mit Hängebusenimitat (Kostüme: Johanna Lakner) und einer komödiantischen Maria Happel als Marthe ist es allein Katharina Lorenz, die ihrem spröden, einfältig-naiven Gretchen Wahrhaftigkeit einzuflößen vermag.

„Faust II“ gibt Hartmann als installative Performance, die er der Multimediatechnik und einem spielfreudigen, achtköpfigem Schauspielerensemble überlässt. In fliegendem Rollenwechsel zwischen Originaltextfragmenten und Prosa-Handlungskommentar turnen Tilo Nests Faust und Caroline Peters Helena zwischen vier luziden Videoscreens. Als offener Kubus arrangiert, dienen sie als Projektionsfläche für synchron erzeugte, teils verfremdete Live-Videos von Akteuren, Burgmodellen oder stilisierten Gebirgslandschaften.

Ein trashig-improvisierter Schnelldurchlauf durch Goethes Zeit- und Weltreisestück vom Mittelalter bis in die antike Unterwelt, vom Kaiserhof bis zu Fausts Erlösung: In einem roten Rosenblätterregen entschweben Faust und Gretchen auf einer Schaukel in den Bühnenhimmel. Regisseur Matthias Hartmann begnügt sich mit einem kläglich unhinterfragten Triumph der Metaphysik nach sieben Stunden oberflächlich-klamaukigem Budenzauber: Ein fahles Knistern statt des angekündigten Paukenschlags.

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