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Kultur: Wieviel Avantgarde braucht ein Festival? Ein Gespräch mit John Corbett, dem Leiter des Berliner Jazzfests

Mister Corbett, ging für Sie als Jazzkritiker ein Traum in Erfüllung, als Sie eingeladen wurden, das Berliner Jazzfest zu organisieren? Es war fantastisch.

Mister Corbett, ging für Sie als Jazzkritiker ein Traum in Erfüllung, als Sie eingeladen wurden, das Berliner Jazzfest zu organisieren?

Es war fantastisch. So ein Festival zu planen, ist die beste Rechtfertigung, Konzerte zu hören. Ich mache das übrigens nicht zum ersten Mal: In den letzten sechs Jahren habe ich ein Jazzfest in Chicago organisiert.

Sie meinen die „Empty Bottle Series“ für Jazz und improvisierte Musik.

Das Berliner Jazzfest ist zwar ganz anders, doch bleibt das Problem dasselbe: Viele fürchten, dass das Publikum mit einem gewagten Programm vergrault wird. Aber das Gegenteil ist der Fall. Sobald die Organisatoren der Meinung sind, sie dürften nur leicht Verdauliches präsentieren, verliert man Zuhörer. Denn diese Haltung verrät Herablassung und macht den Jazz langweilig.

Aber auch Sie mussten Kompromisse eingehen: Mit Jim Hall, Charlie Haden, Roy Haynes, Kenny Garrett und Nicholas Payton haben Sie prominente MainstreamMusiker eingeladen.

Eines möchte ich klarstellen: Ich liebe und verehre alle Spielarten des Jazz und habe nichts gegen hochwertigen Mainstream. Jeder Musiker tritt hier auf, weil ich ihn unbedingt wollte. Kompromisse gab es nicht.

Das Festival könnte eine Wiedergutmachung sein: Endlich erhalten einige der Musiker Ihrer Heimatstadt Chicago in Europa Anerkennung.

Ich habe einige der besten Musiker Chicagos eingeladen, auch solche, die man in Deutschland kaum kennt. Aber ich hatte nicht vor, ein ChicagoFestival zu organisieren und eine Art musikalisches Getto zu schaffen.

Wie bitte? Es hieß doch im letzten Jahr, nach dem Skandinavien-Festival folge nun Chicago.

Mir wurde das so nie gesagt. Ich habe eher den Eindruck, dass im vergangenen Jahr wegen der regionalen Fixierung einige Verstimmungen auftraten, weil bis auf drei oder vier Gruppen nur skandinavische Musiker auftraten. Hätte man zu mir gesagt: In diesem Jahr wollen wir uns Chicago vornehmen, dann hätte ich mir ein anderes Programm ausgedacht. Aber mir geht es darum, internationalen Kooperationen auftreten zu lassen.

Sie meinen Gruppen wie Ken Vadermarks transatlantische „Territory Band“. Trotzdem ist Chicago sehr präsent.

Es geschieht beinahe zwangläufig. Der Pianist Erwin Helfer geht auf die Boo gie Woogie-Tradition unserer Stadt zurück. Ken Vandermark steht für die zeitgenössische Szene Chicagos. Und irgendwo dazwischen findet man den 80-jährigen Von Freeman, der so etwas wie ein Kaleidoskop aller Stile des Chicagoer Jazz darstellt. Die Stadt spielt seit den zwanziger Jahren eine tragende Rolle für die Entwicklung des Jazz.

Hätten Sie das Total Music Meeting, das seit Jahren zeitgleich mit dem Jazzfest stattfindet, in Ihr Programm integrieren können?

Das Total Music Meeting hatte immer seine eigene Identität, allerdings sollten die Festivals nacheinander stattfinden. Man scheint hier zu glauben, dass jemand, der Cecil Taylor hören will, nicht an Roy Haynes interessiert ist. Wer sich für emotional aufgeladene Musik begeistert, will aber beide hören. Nun finden sie leider am gleichen Abend statt. Die Frage lautet doch: Wie kann man die künstlerischen Leiter zweier Musik-Festivals unter einen Hut bekommen? Das erscheint mir unmöglich.

Das Gespräch führte Johannes Völz.

Jazzfest Berlin, 31.Oktober bis 3.November. Informationen: www.berlinerfestspiele.de

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