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Edgar Eckert als Jason und Maren Eggert als Medea am DT.

© Arno Declair

"Medea. Stimmen" am DT: Wilde Wasser

Tilmann Köhler dramatisiert in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin Christa Wolfs Roman „Medea. Stimmen“.

Sie sei nicht mehr die Allerjüngste, verkündet Medea in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Aber: immer noch „wild“. Was man durchaus als Kommentar auf die antike Frauenfigur an sich verstehen könnte, ist freilich ganz konkret gemeint. „Wild“ nennen die Korinther eine Frau – so erläutert die Schauspielerin Maren Eggert in der Titelrolle sogleich – wenn sie einen eigenen Kopf habe. Und tippt sich aufs Stichwort illustrierend an die Stirn.

Sagen wir mal so: An großzügigen gestischen Unterstreichungen dessen, was der Text ohnehin recht deutlich sagt, mangelt es nicht in Tilmann Köhlers Inszenierung. Wenn Medeas wenig rühmlicher Partner Jason in Gestalt von Edgar Eckert sich später darüber ärgert, an einer strategisch entscheidenden Stelle „wie ein begossener Pudel“ dagestanden zu haben, erhebt er seinen Kopf tatsächlich aus dem Wasser und schüttelt die nassen Locken.

Die Protagonistin krümmt sich in der Bassin-Mitte

Denn der Bühnenbildner Karoly Risz hat – auch dies nicht direkt ein Bild, zu dessen Entschlüsselung man dreimal um die Ecke denken muss – knöcheltief das Szenario geflutet. Dort hüpft Medea, „wild“ wie sie ist, gern ausdrücklich wasserspritzend auf und ab. Gestalten sich die Zeiten und Gedankengänge hingegen düsterer, was bekanntermaßen häufig der Fall ist, krümmt sich die Protagonistin vorzugsweise in der Bassin-Mitte zusammen und rollt im Wasser bis zur Rampe vor und wieder zurück. So lange, bis ihr zeitlos hellblaues Sackkleid vor Nässe gleichmäßig eingedunkelt ist. (Ja, man hat in den zweieinhalb pausenlosen Stunden durchaus Zeit, sich gebührend auf solche Details zu konzentrieren.)

Christa Wolf stellt Euripides' Deutung der Medea in Frage

Große inszenierte Dramatik also. Der Wille zum Antiken-Pathos. Auch, wenn es gar nicht Euripides ist, was Köhler hier spielen lässt. Sondern Christa Wolf. Die Ikone der DDR-Literatur hatte ein paar Jahre nach dem Mauerfall, 1996, mit ihrem Roman „Medea. Stimmen“ eine Art Revision des antiken Mythos vorgelegt. Bei Euripides ermordet die Titelheldin ja aus Rache an Jason die gemeinsamen Kinder. Vorher war sie mit ihm nach Brudermord und Raub des Goldenen Vlieses aus dem heimischen Kolchis nach Korinth geflüchtet, wo man sie zusehends als Fremde ausgrenzte, als „Barbarin“. Jason hingegen begann zwecks sozialen Aufstiegs schon bald mit Glauke zu liebäugeln, der Tochter des Königs Kreon. Der schickte Medea schließlich noch ein tödlich vergiftetes Kleid.

Christa Wolfs Variante geht anders. Weil erst Euripides die Kolcherin in seiner Deutung zur Kindsmörderin machte, so ihre Argumentation, sind Medeas schwerstkriminelle Taten hier quasi nur die üble, intrigante Nachrede eines patriarchal dominierten Machtzirkels – zu dem erfahrungsgemäß stets auch konsequente Erfüllungsgehilfinnen gehören. Ersonnen, um die unliebsame Fremde, eine Zeugin staatsräsonaler Verbrechen zumal, aus dem Palast zu entfernen. Dass in Wolfs Frage nach der Deutungshoheit über die Historie an vorderster Front diejenige nach dem Geschlechterverhältnis mitschwingt, macht den Abend vor dem MeToo-Hintergrund praktisch tagesaktuell.

Medeas vormalige Schülerin Agameda wird ihre Feindin

Um der geschlossenen Basta-Behauptung auch strukturell Vielstimmigkeit entgegenzusetzen, wird das Geschehen in Wolfs Roman aus verschiedenen Perspektiven umkreist. Übermittelt sozusagen von unterschiedlichen „Stimmen“, wie der Roman daher auch im Untertitel heißt. Anschließend an Medea im ersten und Jason im zweiten Kapitel tritt etwa Medeas vormalige Schülerin Agameda auf, die sich zu ihrer erbitterten Feindin radikalisiert hat und im DT von Lisa Hrdina entsprechend eiskalt auf die Wasseroberfläche gezirkelt wird.

Glauke, bei Wolf quasi eine andere Gesellschaftsopfer-Variante als Medea, durchzittert in der verzweiflungsreichen Darstellung von Kathleen Morgeneyer einen epileptischen Anfall nach dem nächsten in der Wasserlache. Während die Männer – von Edgar Eckert als Jason über Helmut Mooshammer als Akamas bis zu Thorsten Hierse als Leukon – das Bühnen-Nass eher in verschiedenen Abstufungen von Breitbeinigkeit durchschreiten. Mal trittfester und mal feiger, mal renitenter und mal opportunistischer. Neu erfunden wird der zwischengeschlechtliche Stereotypen-Diskurs im DT also nicht.

Man hört dem Text wirklich gern und interessiert zu

Spannend wäre es trotzdem, diesen Roman, der sich unter anderem auch als Ost- West-Auseinandersetzung lesen lässt, 22 Jahre nach seinem Erscheinen und sieben nach dem Tod der Autorin auf den Bühnen-Prüfstand zu stellen. Zumal sich Köhler zusammen mit der Dramaturgin Juliane Koepp der Mühe unterzogen hat, ihn tatsächlich in eine dramatische, mithin dialogische Struktur zu überführen. Diesen Stress hält ja im Zeitalter der epischen Buchnacherzählungen mit mehr oder weniger klar verteilten Rollen eigentlich kaum noch ein Regisseur für nötig.

Kurzum: Man hört dem Text wirklich gern und interessiert zu – wenn im DT nicht über weite Strecken ein derartiges Deklamationstheater daraus würde, dass die Wasserspiele im Verlauf des Abends nicht nur einmal nahe an der unfreiwilligen Komik entlangschrammen.

Wieder am 10., 20. und 27. April

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