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Antreiber, Säbelschwinger und Großkotz: Wilhelm II. 1898 in einer Karikatur der französischen Satirezeitschrift „Le Rire“.

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Tagesspiegel Plus

Wilhelm II. und die Kolonialverbrechen: „Keiner hielt sich an das Kriegsrecht“

Der Historiker Jonas Kreienbaum hat im Auftrag des Humboldt Forums die Rolle Wilhelm II. in der Kolonialpolitik untersucht. Mit martialischen Reden trug der Kaiser zur Eskalation von Gewalt bei. Aber gab er einen direkten Befehl zum Genozid?

Herr Kreienbaum, das Interesse an der deutschen Kolonialgeschichte ist in den letzten Jahren gewachsen. Über die Rückgabe der Benin-Bronzen und den Wiederaufbau des Berliner Schlosses wurde leidenschaftlich gestritten. Der letzte Kaiser, der dort residierte, war Wilhelm II. Er ist bis heute für die „Hunnenrede“ berüchtigt, die er im Juli 1900 in Bremerhaven hielt. Er sagte: „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht!“. War das ein Mordbefehl?
Streng genommen nicht. Denn es handelt sich nicht um einen Befehl, sondern um eine Ansprache, die der Kaiser bei der Verabschiedung der Truppen seines China-Expeditionskorps hielt. Dieses wurde zur Bekämpfung des sogenannten Boxeraufstands eingeschifft. In Peking waren Ausländer angegriffen und der deutsche Gesandte ermordet worden. Aber Wilhelms martialische Worte müssen bei den Soldaten und Offizieren den Eindruck erweckt haben, dass Gewalt und Töten von der Staatsspitze, dem Kaiser, gewollt wurden. Insofern hatte die Rede einen entgrenzenden Effekt. Zahlreiche Soldaten berichteten per Feldpost von der massiven deutschen Gewalt gegen Chinesinnen und Chinesen. Ihre Texte wurden vor allem in der sozialdemokratischen Presse als „Hunnenbriefe“ gedruckt. In diesem Krieg, den das Deutsche Reich als Teil einer Allianz von acht Staaten führte, kam es zu Massenhinrichtungen, ganze Dörfer wurden niedergebrannt und zahlreiche Kunstschätze geplündert.

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