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Kultur: Willkommen am Spätschalter

Vom glücklichen Elend der mittleren Jahre: Eine Begegnung mit dem Berliner Schriftsteller Bernd Cailloux

Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Vor allem, wenn dieser Mann ein Schriftsteller mit notorischen Geldsorgen ist, dem die Deadline eines hoch dotierten Kurzgeschichtenwettbewerbs im Nacken sitzt. „Etliche Wochen hatte ich koch konzentriert am Schreibtisch verbracht, bis zur Auflösung resistent gegen Verführungen aller Art.“ Doch dann ruft am entscheidenden Abend die Verlockung in Gestalt einer geheimnisvollen Helena an. Spontan lädt sie zu einem Atelierfest, und unser Held der Disziplin taumelt gewaltig, reißt sich aber zusammen: „Heute geht es leider nicht, ich mache gerade etwas fertig, das unbedingt mit dem heutigen Poststempel herausgehen muss.“

Ach, kein Problem, flötet Helena. Sie kenne da einen Postbeamten, der für hundert Euro den Poststempel um einen Tag zurückdrehe. Doch der Schreiber bleibt standhaft, beendet die Geschichte und steht Punkt halb zwölf am Schalter der Nachtpost. Doch oje. Das halbe literarische Berlin steht Schlange mit verdächtig vielen Din-A3-Umschlägen, auf denen fett „Literaturpreis“ steht. Schlagartig wird dem Schriftsteller klar: Die Chance auf das Preisgeld ist gleich null. Schlimmer aber ist: Sein Selbstbild fällt in sich zusammen. Aus dem edel einsamen Schreibwolf wird ein 08/15-Piranha im von Gier blubbernden Teich des Literaturbetriebs. Kläglicher können Schreibexerzitien nicht enden. Immerhin: Der Erzähler schlägt aus seinem Scheitern zumindest literarischen Gewinn. Statt sich zum Schalter vorzukämpfen, geht er nach Hause, lässt sich von Helena die Nummer des bestechlichen Postbeamten geben und verfasst in vierundzwanzig Stunden eine neue Geschichte, die – man ahnt es – in einer Nachtpost spielt.

„Abend am Spätschalter“ heißt diese Geschichte aus dem neuen Erzählband „German Writing“ von Bernd Cailloux. Darin finden sich neun Geschichten, die alle vom Glanz, noch mehr aber vom Leid eines gewöhnlichen Schriftstellerlebens handeln. In allen Geschichten spielen die Einsamkeit und das nicht vorhandene Geld zuverlässige Hauptrollen. Durch sie alle geht aber auch ein erfrischender Wind der Freiheit und eine wettergegerbte, also erfahrungsgesättigte Ironie, die das Durchschnittsleben der Figuren nicht ohne Verliererstolz vorführt und wunderbare Sätze wie diesen möglich macht: „Das war zu viel für einen Rucksacktouristen, kaum dreißig und ohne Ahnung vom Elend späterer Jahre.“

Wenn man Bernd Cailloux in einem Café in Schöneberg gegenübersitzt, umgibt ihn die gleiche, etwas zerknirschte Abenteureratmosphäre, die auch seine Geschichten auszeichnet: zweireihige Matrosenjacke, zerfurchtes Gesicht und die durch alle Sätze hindurchscheinende Haltung, dass es im Leben vor allem darauf ankommt, sich selbst treu zu bleiben. Auch Bernd Cailloux, 1945 in Erfurt geboren, kennt sich mit Geduld aus. Und mit Erfolglosigkeit. Fast fünfzehn Jahre war er publizistisch „tot“, wie es im gefühlslosen Verlagssprech heißt. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hatte er einige Bände mit Erzählungen im Suhrkamp Verlag veröffentlicht, von der Kritik zwar hoch gelobt, von der Öffentlichkeit aber weitgehend ignoriert. 1991 erschien „Der gelernte Berliner“, eine Essaysammlung, mit der er Abschied vom alten West-Berlin nahm. Dann war Schluss.

Cailloux arbeitete zwar journalistisch weiter, aber seine Artikel machten nur schmerzlicher deutlich, dass er literarisch offenbar verstummt war. Das war er keineswegs. Nur war bei der Buchproduktion etwas dazwischengekommen. 1995 wurde ein Roman von ihm abgelehnt. „Dann ist man erst mal drei Jahre beleidigt und braucht noch mal drei Jahre, um dem Neugeschriebenen wieder zu trauen. Schon ist das neue Jahrtausend da.“

Erst 2005 erschien „Das Geschäftsjahr 1968/69“, Cailloux’ erster Roman, den einige Kritiker für das beste Buch über die Lebensentwürfe der 68er halten. Zwei junge Männer gründen Ende der Sechziger eine Firma, entwickeln das erste Stroboskoplicht und touren damit von der hippen Hamburger Disko bis zum Frank-ZappaKonzert. Der Traum vom antikapitalistischen Betrieb im Kapitalismus hält eine Weile an, bis eine Illusion nach der nächsten an der Wirklichkeit zerschellt, von Cailloux trocken in Szene gesetzt. Der Roman war sofort ein Erfolg und Cailloux mit sechzig plötzlich Debütant.

Aber was heißt schon Erfolg im Taschenbuchbereich, wo der Autor nur ein paar Cent pro Exemplar bekommt?! Der Verlag hatte zwar an Cailloux über all die Jahre festgehalten, den großartigen Roman aber nur in der schmucklosen Taschenbuchreihe Edition Suhrkamp herausgebracht, eine krasse Fehlentscheidung, die aber gut mit Cailloux’ Selbstbild korrespondiert. Der fühlt sich nämlich als „Paperback-Autor“ ganz wohl, fern vom Rampenlicht, erdnah, normal. Wichtiger als Verkaufszahlen, das „ICE-Leben“ auf Lesereise oder die anstehende Verfilmung seines Romans sei ohnehin die Reaktion des Einzelnen, der geheimnisvolle Weg des Geschriebenen aus der Stille des Schreibraums in den Kopf des Lesers: „Wenn man entscheidet, dass man schreibt, akzeptiert man, dass das Geld knapp wird. Der einzige Trost ist, dass man sich als Schriftsteller nicht lächerlich macht, wenn man wenig verdient.“

Vorausgesetzt, die Umgebung hat eine Ahnung davon, was ein Schriftsteller ist, und weiß seinen täglichen Kampf mit den Sätzen zu schätzen. Anders sieht es aus, wenn der Büchermensch am Tresen mit einem Hausmeister ins Gespräch kommt. Eine leichte Koketterie mit der Bitternis gehört zu jeder Geschichte in „German Writing“, die bitterste heißt zweifellos „Kalter Hund“. Sie spielt in einer Kneipe in Schöneberg, wo Cailloux seit dreißig Jahren lebt, und zeigt, was vom mittellosen Schreiber bleibt, wenn durch Ignoranz des Gegenübers selbst das Mäntelchen der Besonderheit abhandenkommt. „Dann bist du also ein armes Schwein?“– „Ja, sagte ich, das kann man so sagen.“ Die unterschwellige Genugtuung, mit der die Hauptfigur den Befund bestätigt, grenzt an Masochismus, der auch Cailloux nicht fremd ist und der möglicherweise etwas mit seinem früherem Leben zu tun hat.

Das erste Buch erschien, da war er schon vierzig. Und davor? Bernd Cailloux redet gern über die Veroldenburgung Berlins („Schöneberg ist der Verlierer der Wende“) oder den Moment, in dem „eine Geschichte angeflogen“ kommt. Nur über die Zeit vor dem Schreiben redet er ungern. Im „Literaturport“ kann man lesen: Aufgewachsen in Salzgitter, Zeitungsvolontariat, Wehrdienst. Danach „ging er verschiedenen selbstständigen Tätigkeiten in verschiedenen Städten nach“. Dabei muss er, ähnlich wie die Figuren im „Geschäftsjahr 1968/69“, auch zu Geld gekommen sein.

„Im Grunde bestrafe ich mich noch immer dafür, dass ich mal als Geschäftsmann viel Geld verdient habe. Geld trennt und ist zusammen mit der Macht der Ordnungsfaktor der Gesellschaft.“ Dann sagt er mit zufriedenem Lächeln: „Da bin ich eher dagegen.“

Bernd Cailloux liest am Donnerstag, 18. Januar, im Buchhändlerkeller (Carmerstr. 1), 20 Uhr 30. Sein Erzählband „German Writing“ ist in der Edition Suhrkamp erschienen ( 144 S., 8 €).

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