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Hat sich das kindliche Staunen bewahrt: der Filmemacher Wim Wenders.

© dpa

Wim Wenders zum 75.: Der stille Rebell

Verteidigung der Langsamkeit: Zum 75. Geburtstag des Filmemachers Wim Wenders präsentiert die ARD 28 seiner Filme in der Mediathek.

Filme von Wim Wenders gucken, das ist ein bisschen, wie im eigenen Leben zu kramen. „Summer in the City“, in den Siebzigern mit dem blutjungen Hanns Zischler, unsereins war noch jünger und ratlos und wollte so cool sein wie diese Bohemiens.

Spratzer auf dem Zelluloid, das Rauschen der Nadel auf dem Vinyl, die Kinks, The Lovin Spoonful, Mahlers Adagietto: Wenders war beides, Aufbruch und Melancholie, Blues und Rock ’n’ Roll. Die deutschen Straßen sahen amerikanisch aus und die Wohnungen wie die eigene WG, mit weiß lackierten Holzdielen.

Die Nachkriegsrepublik bannte er zum Film noir. Das Mädchen und die Jukebox im Eiscafé in „Alice in den Städten“, der Kölner Hauptbahnhof neben dem Dom in „Falsche Bewegung“ – hier ist man selber oft umgestiegen und wusste nicht recht, wohin.

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Später dann seine Filme über die verlorene Generation und die Einsamkeit von Männern und Frauen, über das Weggehen und den Schlingerkurs beim Älterwerden, über Amerika als Land der Freiheit. Auch das traf das eigene Lebensgefühl.

Wim Wenders wird 75, aus Anlass seines Geburtstags hat die ARD 28 seiner Filme in der Mediathek versammelt, in Zusammenarbeit mit der Wim Wenders Stiftung. Viele seiner Klassiker wurden inzwischen digital restauriert. Zur Werkschau gesellt sich der Dokumentarfilm „Wim Wenders, Desperado“ von Eric Friedler und Andreas „Campino“ Frege an diesem Freitagabend, ein biografisches Roadmovie mit Wenders-Weggefährten an Wenders-Drehorten, das im Juli vorab im Kino gezeigt wurde.

Wenders war lange eher kein Geschichtenerzähler. Action bei Wenders, das ist ein VW-Käfer, der „Im Lauf der Zeit“ in die Elbe plumpst. Oder ein spindeldürrer Mann, der zu Fuß aus der Wüste kommt, Harry Dean Stanton, zu Ry Cooders Gitarre in „Paris Texas“.

Der Edward Hopper des Kinos. Hier, in „Don’t Come Knocking“ mit Sam Shepard von 2005, zitiert der Regisseur den Maler direkt.
Der Edward Hopper des Kinos. Hier, in „Don’t Come Knocking“ mit Sam Shepard von 2005, zitiert der Regisseur den Maler direkt.

© NDR/Wim Wenders Stiftung

Ob Nastassja Kinski, acht Minuten lang schweigend, lauschend, mit leuchtend rotem Angorapullover in der Peepshowkabine (ebenfalls in „Paris Texas“), ob Curt Bois mit Ohrenschützern am Potsdamer Platz in „Himmel über Berlin“ oder die Engel Otto Sander und Bruno Ganz auf der Siegessäule: Wenders nimmt sich die Zeit, seinen Helden und Heldinnen zuzuschauen, wie sie zögern, vagabundieren, sich irgendwann doch einlassen. Oft sehen sie verloren aus, auch deshalb fühlt man sich ihnen nah. Und immer meditieren die Filme über Landschaften und Städte und ihre Bewohner, erst in Schwarz-Weiß, dann in oft magischen Farben. Wenders als der Edward Hopper des Kinos, im Vater-Sohn-Drama „Don’t Come Knocking“ zitiert er den Maler direkt.

Wenders ist ein Kriegsende-Kind. Am 14. August 1945 in Düsseldorf geboren, hat er sich das Staunen eines Kindes bewahrt, die Verwunderung über die Welt. Vielleicht weil er langsamer guckt als andere und seine Bilder die Bewegung scheuen. Dabei ist er selber ein Unterwegs-Mensch, ein Reisender, am liebsten ohne genaues Ziel.

Mit seinen Filmen feiert er andere Künstler, Nicolas Ray, kubanische Musiker oder Pina Bausch

Eigentlich wollte der Arztsohn Maler werden, oder Priester. Aber dann kam ’68 und die Rockmusik und er landete an der Münchner Filmhochschule, zählte dort zu den Sensibilisten. Er ging nach Amerika, kam wieder zurück, gewann Löwen, Palmen und einen Silbernen Bären, drehte rund 50 Lang- und Kurzfilme, machte sich als Werbefilmer und Fotograf einen Namen und hört noch lange nicht auf. Wenders ist ein Konservativer, im allerbesten Wortsinn. Wobei seine Liebe zur Musik, seine Religiosität und seine Verehrung anderer großer Künstler sein Werk zunehmend prägen.

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Letzteres lässt sich auch in der Werkschau verfolgen, in „Nick’s Film“, seiner Verbeugung vor dem sterbenden Nicolas Ray, in „Tokyo-Ga“, seiner Hommage an den japanischen Regiemeister Yasujiro Ozu, in seiner Kuba-Doku „Buena Vista Social Club“ oder dem jüngsten Titel der Reihe, dem 3-D-Film über „Pina“ Bausch von 2011. „Filmemachen ist der Versuch, anderen klarzumachen, was für ein Schatz das Leben ist“, sagt Wim Wenders. Er sagt es leise, langsam. Wenn Wenders spricht, kann man sehen, wie das Denken geht.

Immer wieder hat er im Lauf seiner Karriere selber gezögert, gezweifelt. 1982 fragte er sich, angesichts der uralten Libanon-Zeder am Autobahnzubringer zum Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle, ob das Kino eine Zukunft hat vor lauter Fernsehen. In Cannes wollte er das auch von seinen Kollegen wissen, von Godard, Fassbinder, Spielberg, Antonioni. So entstand „Chambre 666“: Jeden von ihnen ließ er mit der Frage im Hotelzimmer allein, vor laufender Kamera und mit Audiorekorder. Im Hintergrund läuft der Fernseher. „Zuerst kommt das Sehen, dann das Sprechen“, sagt Godard. Ein guter Satz auch über Wenders. Werner Herzog ist übrigens der Einzige, der den Fernseher ausschaltet.
„Wim Wenders, Desperado“, ARD, Freitag, 14. August, 23 Uhr 50. Die Werkschau mit 28 Filmen findet sich bis 14. September in der Mediathek.

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