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Kultur: „Wir Belgier sind Melancholiker“

Chris Dercon, neuer Direktor am Münchner Haus der Kunst, über Amateure, Mode und die Lust am Hässlichen

Herr Dercon, Sie treten die Nachfolge von Christoph Vitali als Direktor am Münchner Haus der Kunst an. Sie beschreiben sich selbst als Jäger, Käufer und Sammler von Ideen. Welche fesseln Sie derzeit am meisten?

Ich bin generell an dem interessiert, was ich nicht verstehe. Zum Beispiel fasziniert mich in München die mit dem Gebäude von Paul Ludwig Troost verbundene Geschichte der Künstlerverbände. Es gibt da – aus der Perspektive der etablierten Szene – einen virulenten „Loser“Aspekt. Ich frage mich: Weshalb wählen Künstler diesen Weg? Mich beschäftigt das Phänomen des Amateurs.

Weil Amateur-Sein besonders uncool ist?

Genau. Wir alle überschätzen das Profi-Sein. Amateure belächeln wir herablassend als Halb-Könner. Mit unserem verkrampften Zwang zur Rundum-Professionalität verlieren wir aber immer mehr die Fähigkeit von zweckfreier, leidenschaftlicher Hingabe an Freizeit und Hobbies.

Worin sind Sie Amateur?

Als Sammler zum Beispiel. Als ich 1988 ans New Yorker P. S. 1 ging, um dort das Programm zu machen, habe ich aufgehört, Arbeiten zu kaufen. Ich fand, ich könnte sonst nicht mehr unvoreingenommen mit den Künstlern umgehen. Damals begann ich, auf Reisen Textilien und Stoffe aus Indien, Japan, Lagos oder Nigeria zu kaufen. Allmählich entsteht so eine „zero money collection“, die ich umso mehr genieße, als ich nicht als Spezialist brillieren muss.

Gibt es noch ein Beispiel?

Ja. In unserer ersten eigenen Ausstellung „Partners“ zeigen wir im November die Sammlung der Kanadierin Ydessa Hendeles. Ydessa lebt in Toronto, ist studierte Kunsthistorikerin und Psychotherapeutin, eine der 50 mächtigsten Personen der internationalen Kunstszene und eine ebenso besessene wie eigenwillige Sammlerin. In ihrer Kollektion befinden sich Arbeiten von Christian Boltanski, Jenny Holzer, Bruce Nauman, Louise Bourgeois, Jeff Wall, Diane Arbus, Hanne Darboven, Maurizio Cattelan und Bill Viola. Sie präsentiert sie in ihrem Privatmuseum, gleichzeitig verarbeitet sie so ihre Biographie als Kind von Überlebenden des Holocaust. Eben weil sie als Kuratorin eine Amateurin ist, gelingt es ihr, die existentielle Dimension der Kunst zu erschließen.

Die Konfrontation gerade einer solchen Schau mit der Architektur von Troost scheint heftig.

Zunächst sehe ich Troosts Architektur als Architektur. Ganz akut habe ich das Bedürfnis, die Räume von dieser ramschhaften Bahnhofsatmosphäre zu befreien, sie zu leeren. Ich hatte in einem der Büros ein Schlüsselerlebnis. Während eines Gesprächs habe ich eine besonders impulsive Geste gemacht. Dabei wirbelte plötzlich Staub auf - und drei Sekunden später fand ich einen Floh! Es war wie eine Inszenierung von Luc Perceval. Also, eigentlich muss alles raus...

Sind Sie Minimalist?

Nein. Ich brauche auch keinen puristisch veranlagten Interior Designer. Was wir versuchen, ist eine Art des kritischen Rückbaus. Wir wollen zum Beispiel die goldene Bar restaurieren. In der Ehrenhalle werden wir die Holzverkleidung wegnehmen und die Säulen und den roten Marmor wieder freilegen. Troost war ein guter Ingenieurs-Architekt. Man spürt, finde ich, sogar eine Nähe zu Mies van der Rohe.

Wollen Sie Herrn Troost rehabilitieren?

Auf gar keinen Fall! Aber wir leben heute anders mit seiner Biographie und seiner Architektur. Ich freue mich schon auf die Eröffnung von „Grotesk“ – einer Ausstellung, die wir zusammen mit der Frankfurter Schirn geplant haben. Die Reibung könnte nicht stärker sein. Immerhin symbolisiert das Gebäude einen Zeitpunkt, in dem man der Kunst gewaltsam ihre Kraft der Selbstbefreiung geraubt hat.

Warum ist das Groteske wieder so aktuell in der Kunst, aber auch der Mode?

Es scheint ein Schönheitsideal zu entstehen, das sich im Negativen manifestiert. Es geht nicht um das Hässliche, sondern um eine Form der Vermittlung. Mode-Hipster sehen derzeit aus wie Clowns. Es ist der Look der Globalisierungsgegner in Seattle und Porto Alegre oder der Friedensaktivisten der letzten Wochen, der in aktuellen Kollektionen wieder auftaucht, zum Beispiel, wenn Ann Demeulemeester Texte von Patti Smith auf die Stoffe ihrer Kleider drucken lässt.

Patti Smith steht im Zentrum einer Ausstellung, die Sie ab Dezember im Haus der Kunst zeigen werden. Sind Musik und Mode im Augenblick innovativer als Kunst?

Ja, weil beide, Musik wie Mode, permanente Revolution sind. Eine Revolution des Individuums, das in der Lage ist, zu sagen: Ich erkenne das andere. Und ich formuliere das mit meinem Körper. Was die Ausstellung betrifft: Ich halte Patti Smith für eine der starken Frauen unserer Gegenwart. Zur Vernissage wird sie mit einer Performance auftreten, aber fast noch wichtiger finde ich ihre Zeichnungen. Sie sind energiegeladener als jede spektakuläre Show. Man sieht: Das Kleine ist so begehrenswert wie das Große.

Small is beautiful? Ist dies Ihr neues, sparsames Ausstellungsprinzip?

Zunächst habe ich ein ziemlich großzügiges Budget. Rund vier Millionen Euro pro Jahr sind viel Geld. Tatsächlich ist es aber ein Hauptanliegen, nicht immer größere, sondern intensivere Ausstellungen zu machen. Damit folgen wir übrigens einer Tendenz, die derzeit überall zu beobachten ist. In Italien höre ich zum Beispiel häufig den Satz „La lentezza è molto sexy“. Langsamkeit ist erotisch.

Sehen Sie wieder eine Avantgarde?

Ästhetik ist heute wieder politisch, das finde ich avantgardistisch. Die permanente Revolution des Individuums ist für mich in hohem Maß politisch. Der Künstler John Bock zum Beispiel gleicht den WTO-Demonstranten in der Art und Weise, wie er Utopien von sich selbst umsetzt. Diese autonome Selbst-Setzung ist für mich der Kern des Politischen.

Erlebt, wer aus dem experimentellen Rotterdam nach München kommt, eine Art Kulturschock?

Rotterdam war einmal ein kulturelles Laboratorium, aber das ist vorbei. Für die rechtspopulistische Partei von Wim Fortyn ist unsere Arbeit viel zu elitär. Rem Koolhaas, der Rotterdamer ist, hat die Stadt einmal als „centre of nothingness“ definiert. Aber zum angeblichen Kontrast München-Rotterdam: Solche Zuschreibungen finde ich problematisch. Ich sehe die Situation hier wie ein Anthropologe. Mit aufmerksamer Neugier.

Ihr Beruf fordert ein gewisses Nomadentum, permanentes Reisen durch die Kontinente. Fühlen Sie sich heimatlos?

Ich vermisse meine Wurzeln, weil ich sie nicht mehr habe. Aber ich leide nicht darunter. Reisen gehört in meinem Beruf zur „haute diplomatie“. Wie alle Belgier bin ich einem Melancholie-Spleen verfallen. Ich brauche ein bisschen Abgrund oder besser, Abgründigkeit.

Das Gespräch führte Eva Karcher.

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