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Kultur: „Wir brauchen eine europäische Armee“

Vor der Preisverleihung: Susan Sontag auf der Buchmesse

Eine alte Weisheit sagt, dass auf die simpelsten Fragen oft die besten Antworten kommen. Und so kann es passieren, dass eine Pressekonferenz das Bild einer großen Frau entwirft, die es schafft, geduldig, lässig, lächelnd das mediale Spiel mitzuspielen, und nicht mit einer einzigen Phrase ihre Glaubwürdigkeit beschädigt.

Susan Sontag, was haben Sie bei der Nachricht empfunden, den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu erhalten? („Ich bin tot.“) Wie lange haben Sie gebraucht, um Ihre Dankesrede für die Verleihung in der Frankfurter Paulskirche zu formulieren? („Einen Monat schwere Gedanken und zehn Tage Arbeit.“) Was denken Sie über die Skandalrede, die dort 1998 Martin Walser hielt? („Meine Sicht auf Deutschland entspricht eher der von Fritz Stern.“) Was halten Sie von der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Iranerin Schirin Ebadi? („Bushs Gratulation war Gift.“) Welches Verhältnis sollte Europa gegenüber Amerika einnehmen? („Wir brauchen eine europäische Armee.“) Susan Sontag, die sich als „Europhile“ sieht und als „weltgrößte Germanistin, die kein Deutsch spricht“, weiß: „Was immer ich sage, es gibt immer noch etwas außerdem zu sagen. Ich habe keine simplen EinSatz-Antworten. Wir müssen oft Dinge vereinfachen, aber wir sollten auch gegen Vereinfachungen kämpfen. Das ist die Aufgabe von Literatur.“ Als Literatin mit Glauben an den Goethe’schen Begriff der Weltliteratur definiert sie sich, „nicht als Kritikerin, nicht als Intellektuelle“. Aber als Mensch mit moralischen Standards für sich selbst und die Gesellschaft, als Weltbürgerin und Bürgerin der USA – und natürlich als Frau. „Ich habe eine Anzahl von Identitäten. Meine erste Identität ist die einer Schriftstellerin, und als solche nutze ich meine Bekanntheit.“

So werden also noch ein paar Leute mehr erfahren, dass sie Kissinger für einen „Kriegsverbrecher“ hält und Schwarzenegger für einen „Dummkopf“, der Kalifornien sicher nicht aus seiner Wirtschaftskrise retten wird: eine Berlusconi verwandte Figur, die für eine „postpolitische Epoche“ steht. Sie erzählt, wie sie unlängst in Bogota nach der Verantwortung des Intellektuellen gefragt worden sei und erklärt habe, es gehe darum, „die Wahrheit auszusprechen“. Nicht jeder Schriftsteller, sagt sie, muss sich politisch äußern. Aber wenn er es tut, unterliegt er besonderen Standards. Gabriel Garcia Marquez zum Beispiel als persönlicher Freund von Fidel Castro habe versagt, als er sich nicht zu den Todesurteilen und hohen Gefängnisstrafen für kubanische Regimegegner äußern wollte. So einfach wird es sich Susan Sontag heute Vormittag in der Paulskirche nicht machen.dotz

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