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Kultur: Wir Geisterjäger

Wilms soll am Deutschen Theater bleiben: Frank Baumbauer über den Beruf des Intendanten – und das Glück Berlins

Herr Baumbauer, wie wirken die heftigen Auseinandersetzungen um das Deutsche Theater Berlin von außen?

Es ist ja nicht so, dass Intendantenwechsel automatisch friedvoll und zum allgemeinen Wohlgefallen ablaufen. Hier hatte ein Kulturpolitiker den Mumm, eine Entscheidung zu treffen, die uns alle überrascht hat und die man sehr unterschiedlich kommentieren kann. Ein Kulturpolitiker macht Politik, das ist erstmal erfreulich. Ich finde zum Beispiel Herrn Flierls Entscheidung, Armin Petras als Intendanten des Maxim Gorki Theaters zu berufen, sehr gewinnend. Ich finde es auch hochrespektabel von Hein, dass er merkte, dass er sich das nicht antun möchte, dieses Gebirge an Problemen, das mit einer Intendanz verbunden ist.

Sie stehen jetzt außer Verdacht, in Berlin Eigeninteressen zu verfolgen. Worin liegen die spezifischen Schwierigkeiten des Deutschen Theaters? Wird es zum Opfer von Ost-West-Gereiztheiten?

Mir kommen diese Konflikte vor wie Angelegenheiten aus dem letzten Jahrhundert. Wir sehen, wie lange die alte Bundesrepublik braucht, um mit der ehemaligen DDR zu einem Deutschland zusammenzuwachsen. Man kann dem Theater ja zugestehen, dass dieser Prozess erst- mal schwierig ist. Aber einen Intendanten sollte das nicht tiefer beeindrucken. Man muss einfach an die Arbeit gehen und gutes Theater machen.

Trotzdem: Entladen sich an diesem Haus symbolisch Ost-West-Animositäten?

Dieser Gedanke ist doch ein auslaufendes Modell. Dass das Zusammenwachsen am Deutschen Theater möglicherweise noch nicht wirklich gelungen ist, ist vielleicht der einzige Vorwurf, den man den dort Verantwortlichen machen kann, nicht nur Bernd Wilms, sondern auch seinem Vorgänger. Wahrscheinlich ist kein anderes Theater so stark von diesem Konflikt geprägt. Peymann hat es ja auch in irgendeiner Form geschafft. Vor seiner Intendanz fanden am Berliner Ensemble Prozesse der Selbstzersetzung statt. Castorf hat zwar groß „Ost“ auf sein Haus draufgeschrieben, eine DDR-Nostalgie-Burg ist die Volksbühne trotzdem nicht.

Ist während Langhoffs Intendanz noch lange nach der Wiedervereinigung am Deutschen Theater eine gewisse DDR- Mentalität gepflegt worden?

Ja, das hat Wilms sicher zu spüren bekommen. Und mit der Berufung von Herrn Hein ist das noch einmal aufgebrochen. Als ich das Deutsche Schauspielhaus im Hamburg übernommen habe, war Gustaf Gründgens schon seit 35 Jahren tot, aber irgendwo im Keller geisterte die Schauspielhaus-Ära Gründgens immer noch. Man muss auch lernen, mit solchen Gespenstern der Vergangenheit zu leben.

Was Sie für Hamburg beschreiben, haben auch Theater wie das BE oder die Schaubühne erlebt. Muss ein guter Intendant die Geister der Vergangenheit vertreiben können? Sind Intendanten Ghost-Buster?

Am Berliner Ensemble bestanden mit Brecht und Heiner Müller, an der Schaubühne mit Peter Stein starke Prägungen, die es heute, in einer kurzatmigeren Theaterszene, kaum noch gibt. Da ist Dieter Dorn, mein Vorgänger an den Münchner Kammerspielen, eine Ausnahme. Es ist ungewöhnlich, dass jemand über einen so langen Zeitraum mit großer Kraft ein Theater prägt. Ob das für Langhoff auch gilt, weiß ich nicht. Wilms hat fast drei Jahre gebraucht, um sich freizuschwimmen. Bei uns an den Münchener Kammerspielen hat die Abnabelung von der Vergangenheit die ersten drei Spielzeiten angehalten. Unser Theater war von Dieter Dorns Theaterbegriff förmlich durchdrungen, bis hinein in das Publikum. Damit kann man nur umgehen, wenn man auf das gesamte Haus zugeht mit dem Engagement, jetzt einem anderen Weg zu folgen. Man muss sich sehr klar zur Vergangenheit des Hauses verhalten, schon während der Vorbereitungszeit. Wer hofft, dass sich mit den ersten Premieren alles weitere entwickelt, hat im Grunde schon verloren.

War das der Fehler von Wilms? Ihm wird vorgeworfen, dass das Deutsche Theater bei allem Erfolg etwas konturlos wirkt.

In keiner anderen Stadt ist das so schwer wie in Berlin. Dass hier vier so stark positionierte Sprechtheater stehen plus das vitale HAU, macht eine Intendanz nicht einfacher. Die Schaubühne steht stark da, die Volksbühne sowieso, Peymann hat seine Position, ob man sein Theater nun mag oder nicht. Gerade weil das so ist, muss man am Deutschen Theater sehr bewusst und dezidiert ein eigenes Profil entwickeln. Die Lust, ein Theater zu leiten, reicht dafür sicher nicht aus.

Ist Berlin der Albtraum jedes Intendanten?

Berlin ist eine der spannendsten Theaterstädte überhaupt. Ein Teil unseres Münchner Ensembles fragt mich ab und zu und nicht unernst, ob diese Kammerspiele nicht nach Berlin aufbrechen könnten. Viele wollen nach Berlin. Berlin ist ein hochattraktiver Ort, gerade auch für Künstler im Aufbruch. Man könnte hier ohne Mühe die allerbesten Ensembles zusammenholen. Auf diesen Magneten, diese Attraktivität der Stadt kann man manchmal nur neidvoll blicken.

Eine Ihrer frühen Stationen als Intendant war Basel. Damals arbeiteten an Ihrem Haus Christoph Marthaler, Frank Castorf und Matthias Lilienthal. Warum entwickeln sich solche Persönlichkeiten kaum noch? Weshalb gibt es so wenig potenzielle Intendanten für das Deutsche Theater?

Das ist ein Beruf, den man erlernen muss. Das geht in der Regel nicht, indem man gleich bei den ganz großen Häusern anfängt. Friedrich Schirmer beispielsweise war Intendant an einer Landesbühne, dann Freiburg, Stuttgart und demnächst am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Das ist eine organische Entwicklung. Wer nur als Name oder weil man einmal aufgefallen ist, engagiert wird, hat ein Problem. Gerade weil es ein nicht ganz unkomplizierter Beruf ist, reicht es nicht mehr, ein toller Schauspieler oder ein wunderbarer Regisseur zu sein, um ein guter Intendant zu werden.

So viel zum Thema Christoph Hein oder zur Bewerbung des Schauspielers Christian Grashof als DT-Intendant.

Was das Deutsche Theater jetzt braucht, ist eine Phase der Konzentration und Zeit. Herr Flierl oder Herr Wowereit sollten auf Bernd Wilms zugehen und ihn bitten, seinen Vertrag um zwei oder drei Jahre zu verlängern. Sieben oder acht Jahre sind eine gute Intendanz-Strecke. Dann schreiben wir das Jahr 2008 bzw. 2009. Es gibt dann auch wieder genügend Intendanten, die kompetent und bereit wären.

Ist die Notwendigkeit, Zeit zu gewinnen, das einzige Argument für Wilms?

Nein. Er macht es im Moment ja offenbar sehr gut. „Faust“ und „Virginia Woolf“ sind enorme Erfolge. Weshalb soll man ein Haus, das so erfolgreiche Inszenierungen produziert, mit Gewalt umbauen? Jeder Intendant und jedes neue Team brauchen Zeit, bis ihr Theater sich entwickelt. Was dem Haus jetzt am schlechtesten bekäme, wäre eine schnelle, ungeduldige Lösung – und Wilms’ Nachfolger braucht dann wieder drei Jahre, um ein eigenes Profil zu entwickeln. Man kann doch nicht ständig von Aufbau- und Übergangszeiten reden. Ich halte nichts von Intendanzen auf Lebenszeit, es gibt sicher auch so etwas wie ein Verfallsdatum. Aber diese kurzen Zeiten, in denen sich nichts entwickeln kann, beschädigen das Theater. In Hamburg hatte ich erst in der dritten Spielzeit das Gefühl, jetzt sind wir da, wo wir hinwollten und werden auch vom Publikum angenommen. An den Münchner Kammerspielen spüren wir erst jetzt, in der vierten Spielzeit, dass sich die Stadt auf das Haus zubewegt.

Das drohende Ende von Wilms’ Intendanz scheint eine Art kämpferischen Trotz am DT zu mobilisieren. Liegen in dieser schwierigen Umbruchsituation auch Chancen?

Auf jeden Fall ist es eine Chance, wenn man klug genug ist, sich jetzt nicht hetzen zu lassen. Wilms Vertrag sollte verlängert werden, um diese Chancen zu nutzen. Allerdings müsste der Wunsch, weiter mit Wilms zu arbeiten, auch aus dem Theater, aus dem Ensemble kommen. Ich wollte in Hamburg auch nach fünf Jahren aufhören und wurde in einer Ensembleversammlung gedrängt, noch zwei Jahre dranzuhängen. So etwas könnte doch auch in Berlin passieren. Wenn der Impuls aus dem Haus fehlt, wird es schwierig. Es wäre natürlich sehr elegant, wenn die Findungskommission die Idee, Wilms zu bitten, seinen Vertrag zu verlängern, auch nicht schlecht fände. Auf gar keinen Fall sollte man jetzt über Interimslösungen nachdenken. Interimszeiten sind tote Zeiten für ein Theater, alle warten und leiden, und alles löst sich auf. Das ist genau so falsch wie eine überhastete, übereilte Neubesetzung.

Das Gespräch führten Peter Laudenbach und Rüdiger Schaper

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