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Historische Rikscha aus der Fahrrad-Sammlung des Deutschen Technikmuseums in Berlin.

© Kitty Kleist-Heinrich

Schriftsteller fährt Rikscha: Wir haben nichts zu verlieren als unsere Fahrradketten

Treten und getreten werden: Falko Hennig erzählt in „Rikscha-Blues“ aus der Welt des Berliner Dienstleistungs-Prekariats.

Trostlos ist das Leben oft und langweilig sowieso. Aber es gibt einen Ausweg aus dem Elend: erzählen. Falko Hennig stellt sich den Kunden, die in seine Rikscha steigen, als „Schriftsteller, Stadtbilderklärer und Vortragsreisender“ vor. Stadtbilderklärer, muss er manchem Westdeutschen erklären, war das DDR-Wort für Stadtführer. Begriffe, in denen das Wort Führer enthalten ist, waren in der DDR quasi verboten. Wegen Hitler.

Ein Führer, der allen gefällt, also einer wie Hitler, will Hennig in seinem Brotjob nicht sein, in dem er sich als Touristendienstleister hauptsächlich in Berlin-Mitte abstrampelt. Er sieht sich eher in der Tradition von Gandhi. Klug und beredt, aber auch polarisierend. Was einen Markgrafen von einem Kurfürsten unterschied oder was es bedeutete, dass jemand König in oder von Preußen war, ist nicht so wichtig. Hauptsache, die Leute hören zu. Und Hennig ist einer, dem die Leute gerne zuhören, vor allem dann, „wenn ich mich einfach meinen Leidenschaften überließ und erzählte, was ich spannend fand“.

Liebesglück, Liebesleid

In „Rikscha Blues“, einer irrwitzigen Mischung aus Autobiografie, Roadtrip und Schelmenroman, erzählt Hennig viele Geschichten. Man folgt ihnen gerne, gerade weil sie nicht immer geradlinig verlaufen, oft abbiegen. Von seinem Leistenbruch gelangt der Erzähler zu Sherlock Holmes, auf die Geschichte der Pfaueninsel und des Alchimisten Johannes Kunckel folgen Reminiszenzen an eigenes Liebesglück und Liebesleid.

„Ich hatte es geschafft. Und das war, als mein Ärger begann.“ Zwei Sätze, die auch von Charles Bukowski stammen könnten, der neben Walter Kempowski zu Hennigs Idolen gehört. Zwölf Euro kostet es, eine Rikscha, Modell E-Cruiser 31, auszuleihen. An schlechten Tagen ist es nicht leicht, das Geld wieder hereinzubekommen. Außerdem gibt es spezifische Berlin-Probleme. Die Friedrichsbrücke, die sich an der von Touristen gern frequentierten Museumsinsel über die Spree spannt, gehört zu den schlimmsten Orten.

Der Fluch der Friedrichsbrücke

Hennig findet sie geradezu verflucht. Weil sie den steilsten Anstieg von ganz Berlin besitzt. Sie mit einem Zweirad, das bereits ohne Fahrer und Fahrgäste 160 Kilo wiegt, zu passieren, ist pure Schinderei. Sitzen zwei adipöse Amerikaner auf der Rückbank, hilft auch die stärkste Oberschenkelmuskulatur nicht mehr. Dann muss der Fahrer seine Passagiere freundlich auffordern, auszusteigen, oder Passanten bitten, zu schieben. Ächz.

Noch ärgerlicher ist, dass es nichts gibt, was man über die Friedrichsbrücke erzählen könnte. Hennig wälzt Bücher, durchforstet das Internet und findet „kein interessantes Ereignis, keine Anekdote, kein Verbrechen, kein Unfall oder auch nur irgendwas. Früher war mal die Straßenbahn drüber gefahren, das wars.“

Wurstsauger will tauschen

Falko Hennig, der mit seinen DDR-Erinnerungsromanen „Alles geklaut“ und „Trabanten“ bekannt wurde, hat tatsächlich den Blues. Die Geliebte ist weg, das Geldverdienen erweist sich als mühselig, er schwankt zwischen Euphorie und Niedergeschlagenheit. Im Prestige rangiert der Rikscha-Fahrer knapp über einem Flaschensammler. Immer wieder wird Hennig höhnisch gefragt, ob er denn „davon leben“ könne. Nur der Fahrer eines Wurstsaugers, der einen Bürgersteig vom Hundekot befreit, ruft ihm zu: „Wolln wa tauschen?“ Als Hennig bei einer „Event-Fahrt“ Mutter und Tochter zum Estrel-Center weit hinter Rixdorf bringt, darf er sich nachher mit seinen Kollegen beim Buffet bedienen. Aber es sind nur die Reste des Festes. Eine Demütigung? Hennig fühlt sich getreten. Der Wahlspruch der Mühseligen und Beladenen ist vom „Kommunistischen Manifest“ inspiriert: „Die Rikscha-Fahrer haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Stadt zu gewinnen. Rikscha-Fahrer aller Länder, vereinigt euch!“

„Rikscha Blues“, finanziert mittels Crowdfunding, wirkt wie ein literarischer Befreiungsschlag. Scheitern als Chance. Gewitzter als Falko Hennig hat noch keiner aus der Welt des Dienstleistung-Prekariats berichtet.

Falko Hennig: Rikscha Blues. Roman. Omnino Verlag, Berlin 2018. 264 Seiten, 18,99 €.

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