zum Hauptinhalt
Väterchen Franz. Degenhardts Balladen begleiteten die rebellischen Jahre.

© dpa

Liedermacher Degenhardt ist tot: Wir lagerten zu seinen Füßen

Der melancholische Rebell: Manfred Maurenbrecher schreibt zum Tod des Sängers Franz Josef Degenhardt.

„Ach, der Degenhardt! Sie gibt’s auch noch?“, lässt er kurz nach 1989 einen bürgerlichen Widerpart höhnen, und zwölf Jahre später, nach dem 11. September, begrüßt ihn die gleiche Stimme: „Ei, sieh da, der Degenhardt. In die Jahre auch gekommen, wie? Doch immer noch ein Auge auf die Zeitläufte. So ist es recht.“ Er war der Chronist der westdeutschen Nachkriegsgeneration. Jetzt gibt es sie bald nicht mehr, und auch ihn nicht. Franz Josef Degenhardt ist am Montag gestorben, in drei Wochen wäre er 80 geworden.

Als er sein erfolgreichstes Lied „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ schrieb, 1965 mit 33 Jahren, wurde er für uns Oberschüler ein Held, der gitarrespielende Anwalt und wissenschaftliche Assistent mit der französisch angehauchten Artikulation im Gesang. Hochgebildeter Rebell. Er füllte Hallen. Sorgte dafür, dass die nachrückende Jugend, wenn alle Plätze verkauft waren, umsonst in den Konzertsaal durfte und sich zu seinen Füßen lagerte. Er erschuf Typen, zuallererst sich selbst, das Väterchen Franz, dann den Wohlstandsprofiteur Horsti Schmandhoff, den verlogenen Senator, der sein Wackelsteiner Ländchen in eine Industriewüste verwandelt und heimatnostalgisch seufzt: „Die waren damals doch anders, die Leute...“, die Tante Th’rese, herzenstiefe Idiotin im Gefängnis der Familie, später den Rudi Schulte, sozialdemokratischer Leuchtturm im Meer des Anpassungsdrucks. Ein Panoptikum, es verschafft Durchblick auf Bauart, Statik und Nischen der westdeutschen Gesellschaft. Mit der alten Schnack-Hilde, ehemals Callgirl Edeltraut Liszt, hat Degenhardt dieser Porträtsammlung 1993 noch einmal eine scharf konturierte Figur hinzugefügt.

Lebensgeschichten, ausgebreitet auf mehr als dreißig Alben und in acht Romanen. Dass nichts so bleibt, wie es ist, war die Maßgabe. Dass dieser präzise Beobachter Marxist werden musste, zeigt sich schon im Frühwerk, bereits der „Zug durch die Gemeinde“ von 1964, Kneipentour eines innerlich Gejagten, ist die Beschreibung einer kleinstädtischen Klassengesellschaft, von unten gesehen. Aus der Nacht heraus. Gesungener Chabrol.

Degenhardt, Neffe eines Kardinals (aber mit einer Rebellinnen-Mutter, wie das Lied „Sie ist in den Wald gegangen“ erzählt), erarbeitete sich auf der Höhe seines Ruhms einen kommunistischen Klassenstandpunkt. Für viele seiner Verehrer (mich inklusive) war das schmerzlich, „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf“ war kein Lied für mich. Aber ähnlich wie Bob Dylan seine christlich-fundamentalistische Phase überwand, ohne die dort gezogenen Grundsätze zu verlieren, durchdrang später der Ausbeutungscharakter dieser Gesellschaft Degenhardts Werk wie selbstverständlich, und der Sänger konnte trotzdem - und besser, ohne belehren zu müssen - erzählen. Mit dieser Stimme, die oft wie zuschauend, sich selbst beim Singen beobachtend klingt. Distanz eines Melancholikers, der nicht verzweifeln will, weil er dafür zu viel weiß.

Hanns-Dieter Hüsch erzählte mir einmal, Ende der sechziger Jahre hätten ihn immer wieder Veranstalter darauf vorbereitet, dass er nicht mehr als 60 oder 80 Zuschauer zu erwarten habe. Letzte Woche aber, als Degenhardt da war, da hätten sie in die Stadthalle ausweichen müssen. Dieses Verhältnis zwischen zwei Großen im literarischen Bühnengeschäft hat sich schnell umgekehrt. Der Held der 68er-Jugend blieb kein Sänger für Massen und Medien.

Degenhardt blieb nach 1989 seinen Grundsätzen treu, was ihn medial isolierte. Das gab ihm andererseits die Chance, seinem Hang zum Privatbild, zur lyrischen Chiffre, zum Selbstgespräch zu folgen, so dass viele seiner späten Lieder wie Teile eines langen Erwägens in veränderter Umgebung klingen. Souverän übernehmen die Texte aktuelle Worthülsen, die Skizzen zynische Denkhaltungen, die noch im Lied erledigt werden, die Musiken Zitate aus Pop, Rap und Techno. Für ein immer kleineres Publikum veröffentlichte Degenhardt noch bis 2008 regelmäßig Liederalben von gleichbleibend hoher Qualität. Wer über die Phraseologie der Menschenrechtler einmal von Herzen lachen will, dem sei „Erleuchtung“ empfohlen. Wen das Altwerden drückt, der lasse sich von „Onkel Albright“ rühren.

Der Mann, der grade gestorben ist, ist noch fast ganz zu entdecken. In Frankreich, Italien, auch in den USA wäre ein Künstler dieses Rangs – egal, wo politisch geortet – verehrter Nationalbesitz. Hier ist auch dieser Teil der Kultur privatisiert. Dabei gehören die Lieder und Schriften Degenhardts allen, die sie lesen, hören und singen. Ich wage die Behauptung, dass eine Generation, die bald kommt, an diesen Bruchstücken entlang in die Vergangenheit reisen wird.

Manfred Maurenbrecher ist Liedermacher und Autor und lebt in Berlin. Zuletzt erschien seine Doppel-CD „wallbreaker“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false