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Kultur: Wir sind alle Tiere

Keine Angst vor Tilda: die „Julia“-Pressekonferenz

Gleich die erste Frage trifft ins Schwarze: Ob er während des Drehs Angst vor dieser wilden, schreienden, mit der Pistole fuchtelnden Frau bekommen habe, wird der elfjährige Aidan Gould gefragt. Und der altkluge Knabe, der mit schöner Selbstsicherheit bekennt, schon sein Leben lang Schauspieler werden zu wollen, antwortet sehr gelassen: „Schauspieler können schon ziemlich einschüchternd sein, Tilda ist da keine Ausnahme.“ Aber Angst, nein, Angst habe er nicht gehabt: „Es ist doch nur ein Film.“ Großes Gelächter, vor allem seine Filmpartnerin hat ihre helle Freude: „Thank you and good night.“ Danach haben sich eigentlich alle Fragen nach Vorbereitung, psychologischen Ähnlichkeiten mit ihrer Filmfigur, Erfahrungen mit Alkohol etc. erledigt: „It’s just a movie.“

Sieht man sie dort auf dem Podium, elegant im goldgrünen Mantelkleid, die kurzen roten Haare streng zurückgekämmt, das Gesicht klar, leuchtend, kaum geschminkt, könnte der Gegensatz in der Tat nicht größer sein zu dieser aufgelösten Figur der Julia, die man gerade im Film gesehen hat. Man glaubt es ihr sofort, wenn Tilda Swinton bekennt, eigentlich überhaupt keinen Alkohol zu vertragen und deshalb bestens auf die Rolle einer Alkoholikerin vorbereitet gewesen zu sein: „Ich habe mein Leben lang nur gespielt, betrunken zu sein. Ich war immer die Nüchterne, die auf Partys die Musik runtergedreht und alle nach Hause gefahren hat, wenn die Polizei kam“. Doch die Balance am Rande des Nervenzusammenbruchs, am Rande der eigenen Kräfte, die kenne sie, die kennen doch alle, erklärt die Britin: „In uns allen steckt dasselbe Tier.“ Natürlich wirke Alkohol verstärkend, natürlich sei Julia die Fortissimo-Version, aber so exotisch dann auch wieder nicht. Spielen, aufdrehen, über die eigenen Kräfte gehen, das tue doch jeder, auch sie, gerade jetzt wieder, wo sie übermüdet auf dem Podium sitze und trotzdem Energie ausstrahlen solle: „Das ist der Deal.“

Willkommen im Zoo: Dass Regisseur Erick Zonca an seine Filme wie ein Tierfilmer herangehe, gleichzeitig neugierig und komplex, amoralisch und voller Mitgefühl, ist das höchste Kompliment, dass Swinton ihm spenden kann. Sie habe jahrelang nach einem solchen Blick gesucht – und nutzt die Gelegenheit, noch einmal einen großen Dank an ihren Entdecker, den 1994 verstorbenen britischen Regisseur Derek Jarman loszuwerden, über den sie im diesjährigen Panorama einen Dokumentarfilm präsentiert: Von ihm habe sie gelernt, nur mit Leuten zu arbeiten, die sie möge, nur zu filmen, wenn es ihr Spaß mache – und damit wenig Geld zu verdienen. Christina Tilmann

Christina Tilmann

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