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Kulturgeschichte: Witz und Wahrheit

Was ist eigentlich ein Jude? Eine Ausstellung im Jüdischen Museum widmet sich oft gestellten Fragen.

Wie erkennt man einen Juden? Darf man überhaupt „Jude“ sagen? Und über den Holocaust Witze machen? Wer so fragt, begibt sich, gerade in Deutschland, oft in ein Minenfeld. Das Jüdische Museum geht jetzt in die Offensive – mit der Ausstellung „Die ganze Wahrheit ... was Sie schon immer über Juden wissen wollten“. Aus 800 Gästebüchern und zahllosen Facebook- und Twitterkommentaren wurden die 30 häufigsten Fragen der Besucher destilliert. Ein enormer Aufwand – der vor allem ein Desiderat aufzeigt: Offenbar gibt die Dauerausstellung auf die Frage „Was ist eigentlich ein Jude?“ keine hinreichenden Antworten.

Die gibt es eigentlich zahlreich – und doch gehört es zum Prinzip der Ausstellung, die Beantwortung dem Betrachter selbst zu überlassen. Vielleicht, weil Eindeutigkeit selten existiert, gemäß dem alten jüdischen Witz: Warum reagieren Juden auf Fragen immer mit Gegenfragen? Sagt der Rabbiner: „Warum nicht?“ Jeder Frage ist eine magentafarbene Box zugeordnet, die zugleich als Schaukasten fungiert. Darin: Ausstellungsobjekte, Filmausschnitte, Musik oder Installationen.

Wer ist eigentlich ein Jude? Wie schwierig diese Frage ist, zeigen Kurzbiografien von Prominenten, deren jüdische Identität unklar ist: David Beckham, Justin Bieber mit hebräischem Tattoo, oder Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein, der sich als „Scheinjude“ bezeichnet und mit einer siebenarmigen Laugenbrezel winkt. Die frei schwebenden Tafeln bilden ein Labyrinth aus Lebenswegen. Leider erschwert die Tatsache, dass sie an Drahtseilen aufgehängt sind, die Lesbarkeit: Wer den drehenden Tafeln nicht hinterherkreiseln will, muss sie mit beiden Händen festhalten.

Die wohl größte Provokation ist „der Jude in der Vitrine“ zu der Frage „Gibt es noch Juden in Deutschland?“. Zu ausgewählten Zeiten sitzt täglich – außer am Sabbat – ein jüdischer Gast in einem an der Vorderfront offenen Glaskasten und beantwortet Fragen der Besucher. Ein Jude als menschliches Ausstellungsobjekt. Der erste, der beim Testlauf vor Publikum im Kasten sitzt, ist der Kolumnist Leeor Engländer. Ist ihm das nicht unangenehm, wie ein Tier im Zoo zu sitzen? Er zuckt mit den Schultern. „Überhaupt nicht. Wir Juden sind doch auch in Deutschland jeden Tag wie Tiere im Zoo – und das meine ich nicht abwertend. Es gibt einfach wenige von uns, das fällt automatisch auf.“ Während der Umgang mit jüdischen Klischees in Deutschland immer von einer gewisse Zurückhaltung, ja Verkrampfung begleitet wird, konfrontiert Engländer die Besucher mit ihren eigenen Hemmungen durch Sätze wie: „Ich erkenne einen typischen Juden, wenn er mir auf der Straße begegnet“ und „Ist es nicht Antisemitismus, wenn man Klischees gar nicht mehr erkennt, weil man sich so wenig mit dieser Menschengruppe beschäftigt hat?“ Klischees als etwas Positives, und das im nazibelasteten Deutschland? „Schauen sie mich an. Ich erfülle selbst alle Klischees: Ich bin 1,66 m groß, habe eine größere Nase als andere, Locken, einen roten Bart und bin auch noch frech. Das heißt nicht, dass es nicht auch andere Juden gibt.“

Das Wagnis der Aktion lohnt sich und regt zum Nachdenken an. Wäre es vorstellbar, dass sich ein Protestant oder ein Katholik in einen Glaskasten setzen und befragen ließe? Wohl kaum. Aber ist es nicht skandalös, Menschen auszustellen? Leeor Engländer hat eine Antwort darauf: „Überhaupt nicht. In diesem Museum geht es um Juden und allein das zeigt, dass wir eine Minderheit sind. Wüsste jeder Bescheid darüber, würde es keine Jüdischen Museen geben.“

„Kann man aufhören, Jude zu sein? Was macht Lebensmittel koscher? Das sind einfache, sachliche Fragen, die aus der Religion heraus beantwortet werden können. Jüdisch-Sein aber bedeutet viel mehr als Religion – das macht das Verständnis in einer christlich geprägten westlichen Welt so schwierig. Was macht einen nicht-religiösen Juden jüdisch? Ein Zitat von Aviv Netter gibt Einblick in das dicht gewebte Netz aus Kultur, Religion und Lebensart, wie wir es nicht kennen: „Es ist die Art, wie ich meine Kultur feiere – ein Urinstinkt, wenn etwa meine Finger anfangen zu schnippen, sobald ich hebräische Musik höre.“

Mit Leichtigkeit und Witz regt die Ausstellung zum Nachdenken an. Woran erkennt man einen Juden? Präsentiert werden die unterschiedlichsten Arten von Kopfbedeckungen, sie schaukeln wie ein gigantisches Hüte-Mobile an der Decke. Auch Tabus kommen zu Wort: Darf man über den Holocaust Witze machen? In Amerika schon. In einer US-Fernsehserie werfen sich die um das schönste Holocaust-Mahnmal Wetteifernden Sätze an den Kopf wie „Auschwitz – you’ll be saying Wow-Schwitz!“ Einem Deutschen würde es hier den Magen umdrehen. Dann: Darf man als Deutscher Israel kritisieren? Besonders interessant, gerade vor dem Hintergrund der Debatte um Henryk Broder und Jakob Augstein. Der Besucher wird mit einem Maulkorb für einen deutschen Schäferhund und dem überdimensionierten Israel-Kritiker-kritischen Text „Der ewige Israeli“ von "taz"-Autor Philip Meinhold konfrontiert. Darin präsentiert er zehn vermeintliche Leitlinien für das Schreiben eines israelkritischen Textes, mit deren Hilfe es dem Autor gelingen soll, nicht als Antisemit zu gelten (obwohl er das nach Meinholds Ansicht anscheinend ist). Die Kombination von Text und Maulkorb lässt einen ratlos zurück. Ist das die Antwort auf die Frage?

Jüdisches Museum Berlin, bis 1.9., täglich 10–20 Uhr, Mo 10–22 Uhr

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