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Gegen die Enge der DDR – und weit darüber hinaus. Kathleen Morgeneyer (Klette) und Andreas Döhler (Schanotta) feiern ihre Freiheit. Foto: Braun/drama-berlin.de

© Braun/drama-berlin.de

Kultur: Wo der Osten endet

Ein Held der Sprache: „Jochen Schanotta“ in den Kammerspielen des DT.

Der Einberufungsbefehl zur Armee ist da. Da hat der achtzehnjährige Jochen Schanotta eine Vision: Ein Reiher ist tot. Auf dem Fluss schwimmen Särge. „Ich ertrage das nur mit geschlossenen Augen. Dann sind wieder Wände um mich.“

Gegen diese Wände rennt Schanotta an, auf der Suche nach einem selbstbestimmten, freien Dasein. Aber wo ist es zu finden? Mit „Jochen Schanotta“ legte Georg Seidel, 1945 in Dessau geboren und 1990 in Berlin an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben, sein zweites Stück vor. Die Uraufführung war am 23. Februar 1985 im Berliner Ensemble, das Stück erlebte trotz heftiger Einsprüche der Volksbildungsministerin Margot Honecker noch 18 Aufführungen bis Ende April 1986. Schanottas Kampf gegen Enge, Fantasielosigkeit und Feigheit, gegen die Unterdrückung aller schöpferischen Impulse, gegen das Angepasste, Liebedienerische richtete sich wohl gegen die offizielle Politik der DDR, ging aber weit darüber hinaus. Schanotta will einen Weg finden, in eine vielleicht doch existente souveräne Gemeinschaft erwachsener, selbstbewusster Menschen. Und er will zu sich selbst kommen, Rätsel lösen, Aufgaben finden.

Georg Seidel hat das in eine hoch emotionale Sprache gepackt, die sich Wirklichkeit nur überzieht wie einen schlecht passenden Mantel. Da sind überwältigend schöne, fantastische Bilder, dunkel und vieldeutig. Und dann ganz frische, direkte Aussagen über Alltägliches, mit denen ideologisch Vorgestanztes frech und provokativ hinweggefegt wird. Der Dramatiker erfindet diese Sprache als den besonderen Raum für den Helden. Nur Schanotta hat hier Zutritt, nur hier erhält er die Chance, die Welt in sich aufzunehmen. Seine Welt, so eng begrenzt sie scheint, hat doch eben auch geistige Weite. Nicht für dramatische Aktionen. Eine Liebe, eine Flucht, und immer wieder eine neue Flucht, mehr passiert nicht. In einem „Heim mit Fernwärme im Winter“ wird sich Schanotta nicht verzagt und gedemütigt einrichten. Diese Hoffnung bleibt.

Und so ist der Raum in der Aufführung der Kammerspiele des Deutschen Theaters gleichsam aufgehoben. Die Zuschauer sitzen auf der Szene, hart am Rande der Drehscheibe. Die Spieler ihnen weit gegenüber, als Gruppe, die alle Szenen selbst baut, sich immer wieder verwandelt (Bühne Anna Ehrlich, Kostüme Marie Roth). Auch sie will der Regisseur Franz Abt als Suchende zeigen, für die es Sicherheiten nicht gibt.

Die leere, schwarze Bühne, nur durch eine schmale, halbhohe Wand geteilt und später in ein wie schlingerndes Drehen geratend, hat überall Grenzen, sie hält die Darsteller fest, zwingt sie immer wieder zu ihren Ausgangspunkten zurück. Und doch entsteht eine faszinierende Lebendigkeit, gerade im Ungesagten, Angedeuteten. Nicht nur die innere Verfasstheit des Helden Schanotta tut sich auf, auch die anderen Figuren bleiben verstörend in den Beklemmungen einer falschen Welt gefangen. Der Regisseur sieht sie als Gleichaltrige. Andreas Döhler kommt nicht als Abiturient auf die Bühne, sondern als bereits erfahrener junger Mann. Abt will kein Jugendstück, er will die Sinnsuche ohne Verengung auf den DDR-Hintergrund des Stückes. Wut und Ohnmacht brechen sich Bahn, laut und oft auch ganz still. Döhler beginnt kraftsprühend, ironisch, gestisch agil bis zur Kasperei, wird später stiller, bedachtsamer und gerade deshalb noch kräftiger, herausfordernder.

Es ist eine besondere Aura um diesen Kerl, von der sich die anderen nur borgen können. Kathleen Morgeneyer gibt der Schanotta-Freundin Klette einen spröden, rührenden Charme, Daniel Hoevels zeigt die beklemmend zwielichtige Verlogenheit des Lehrers Körner, Natali Seelig bringt die Mutter überlegen, unangreifbar auf die Bühne. Döhlers Schanotta zieht auch die Wahrheiten dieser Figuren ans Licht, ihre Hilflosigkeit, ihren Charme, ihre tapfer versuchte Ehrlichkeit, ihr böses Versagen. Und es gibt hinreißend vitale Szenen wie den Glücksrausch der Liebenden, einen Tanz der Entgrenzung, Menschsein und Tiersein ineinanderreißend. Für einen Moment öffnet sich der Himmel, haben Wut und Hilflosigkeit ausgedient. Für einen Moment. Dann kommt wieder das Dunkel.

Wieder am 21.12.2011 und 2.1.2012.

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