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Kultur: Wo die Banalität zu Hause ist: Architekturfotografien von Michael Reisch

Die Geschmacklosigkeit – so denkt man jedenfalls in den Großstädten – feiert ihre größten Triumphe in der Provinz. Wo Reihenhaussiedlungen an Industriegebiete stoßen, wo Landstraßen irgendwann aufhören, gepflastert zu sein, dort muss auch ein gewisser ästhetischer Analphabetismus zu Hause sein.

Die Geschmacklosigkeit – so denkt man jedenfalls in den Großstädten – feiert ihre größten Triumphe in der Provinz. Wo Reihenhaussiedlungen an Industriegebiete stoßen, wo Landstraßen irgendwann aufhören, gepflastert zu sein, dort muss auch ein gewisser ästhetischer Analphabetismus zu Hause sein. Dabei kann man dem Erbauer des obigen Domizils eines gewiss nicht vorwerfen: mangelnden Stilwillen. Langgestreckt wie eine Festung liegt es da, der Eingang mit der prachtvollen, pseudo-kassettierten Eichentür springt hoheitsvoll zurück, als würde er in eine Burg führen. Wir stellen uns vor, dass der Backsteinpalast im Emsland, bei Wunstorf oder im Ostwestfälischen steht. Sein Besitzer wird ein Geflügelzüchter sein, der noch im Zeitalter vor der Einführung des Öko-Eis zu Geld gekommen ist und sich mit der Familienresidenz ein standesgemäßes Denkmal setzen wollte. In der Garage parkt er seinen 200er Mercedes mit Dieselmotor, den er auch schon mal mit Heizöl betankt. Pastoraler Frieden liegt über der Szene, die Stille ist geradezu ohrenbetäubend. Erst bei näherer Betrachtung springen Merkwürdigkeiten ins Auge. Der geschotterte Zugang ist von Rasenflächen regelrecht umzingelt, deren akkurater Schnitt zwar mit der Zwanghaftigkeit der zugezogenen Gardinen harmoniert, aber auch reichlich künstlich wirkt. Und die Strauchkulissen im Hintergrund scheinen am Horizont festgeklebt zu sein.

„Haus, 0020“ hat Michael Reisch seine monumental vergrößerte, zwei Meter breite Farbaufnahme genannt. Reisch fotografiert „Prototypen“ - so auch der Titel seiner Ausstellung in der Architektur Galerie Berlin -, er interessiert sich nicht für das Extraordinäre, sondern für den Standard. Einen Kühlturm lässt er silbrig schimmernd wie eine Edelstahlskulptur hinter einem Wäldchen aufragen. Ein Kraftwerk, dessen Schornsteine aus angemackelten Verkleidungen herausspringen, scheint mit seiner Umgebung fest verwachsen. Landschaften – eine hügelige Wiese oder eine Gruppe von Nadelbaumgewächsen – ist ihre Natürlichkeit weitgehend ausgetrieben, die Wildnis ist gezähmt. Der Düsseldorfer Fotograf, der 1964 geboren wurde und bei Bernd Becher studiert hat, entfernt bei seiner Bildern mittels digitaler Nachbearbeitung alle Spuren des Lebens. Nirgends parkt ein Auto, kein Fahrrad lehnt an einer Wand, an keiner Leine trocknet Wäsche. Die Architekturen, die Reisch zeigt, sind phantomhafte Erscheinungen, man könnte sie auch geträumt haben. So banal diese Beispiele einer abgesunkenen Nachkriegsmoderne der sechziger und siebziger Jahre auch sein mögen, geht von ihnen doch auch Erhabenheit aus. (chs)

Architektur Galerie Berlin – Ulrich Müller, Ackerstr. 19 (Mitte), bis 24. August, Di-Fr 15-19, Sa 12-16 Uhr.

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