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Kultur: Wo die Fäuste sprechen

„Evil“: ein brillanter Film über das Gewalt-Dilemma

Schweden in den Fünfzigerjahren. Zwei Schuljungen unterhalten sich über ihren Lieblingsfilm, Nicolas Rays „Rebel without a cause“. Die Filmfreundschaft zwischen dem Rebellen Jim (James Dean) und seinem kleinen Freund Plato, dem gehänselten Einzelgänger, spiegelt die Freundschaft der beiden Schüler. Auch Erik (Andreas Wilson, auf der Berlinale als „Shooting Star 2004“ geehrt) und Pierre (Henrik Lundström) sind Außenseiter in der Schulhierarchie des schwedischen Nobelinternats Stjänsberg. Hier der Outlaw, wegen Ungehorsam der Schule verwiesen, der sich wie sein Vorbild Elvis in schwarze Ledertracht kleidet. Dort das Muttersöhnchen, der Streber, in der auf Sporterfolge fixierten Schulwelt ohnehin Verlierer.

Eine Geschichte von Freundschaft, Rebellion und Mut, die auf einer wahren Grundlage beruht: Mikael Hafstroms Film „Evil“ stützt sich auf die Autobiografie des Journalisten und Krimiautors Jan Guillou. Doch „Evil“ ist mehr: eine verstörende Reflexion über Gewalt und Brutalität, eine Schraube, die sich unaufhaltsam festdreht. Erik, der zu Hause unter seinem gewalttätigen Stiefvater leidet, setzt dessen Lektion um, lässt in seiner Auflehnung die Fäuste sprechen. Und trifft im Internat auf seine Meister. Weil er seiner Mutter zuliebe auf den Schulabschluss angewiesen ist, darf er keinen weiteren Rauswurf riskieren und daher die Hand nicht gegen ältere Schüler erheben. Gandhis gewaltloser Widerstand, den ihm Pierre nahe bringen will, bleibt ein Fremdwort für ihn. Selbst der Regisseur, der an seiner Verurteilung körperlicher Gewalt keine Zweifel lässt, findet am Ende keinen anderen Ausweg, als ein letztes Mal die Fäuste sprechen zu lassen.

Ein Schulfilm also, in der langen Tradition von Schlöndorffs „Verwirrungen des Zöglings Törleß“ bis Peter Weirs „Club der toten Dichter“. Und doch ist „Evil“ einen Schritt weiter. Die Schüler, die sich im Internat ihr eigenes Regelsystem geschaffen haben, scheitern damit. Die Lehrer, die eine Politik der Nichteinmischung verfolgt haben, müssen doch eingreifen. Der Vertreter des gewaltlosen Widerstands lernt zu kämpfen, der Kämpfer zu dulden. Kein System funktioniert, und der Lehrer, der in ehrlicher Empörung zu Mut und Moral aufruft, hat am allerwenigsten verstanden. So ist dieser Film, der mit seinen stillen Campusbauten, dem bunten Herbstlaub optisch eine Augenweide ist, ein sehr heutiger Kommentar zum Thema klare Fronten, Recht und Überzeugung. Der sensationelle Erfolg von einer Million Zuschauer in Schweden sowie die Oscar-Nominierung als „bester ausländischer Film 2004“ hatten hoffentlich auch damit zu tun.

Christina Tilmann

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