zum Hauptinhalt

Kultur: Wohlstand, Fleiß und Ehrlichkeit

Es sind wohl die Widersprüche, die den Betrachter vor Holbeins Bildnis des Kaufmanns Gisze innehalten lassen und zu genauerem Hinsehen zwingen.Bestehende Präzision und scheinbar wahlloses Durcheinander, körperliche Präsenz und räumliche Unbestimmtheit, Konzentration und Ablenkung kennzeichnen das Gemälde.

Es sind wohl die Widersprüche, die den Betrachter vor Holbeins Bildnis des Kaufmanns Gisze innehalten lassen und zu genauerem Hinsehen zwingen.Bestehende Präzision und scheinbar wahlloses Durcheinander, körperliche Präsenz und räumliche Unbestimmtheit, Konzentration und Ablenkung kennzeichnen das Gemälde.Der Dargestellte trägt über weißem Hemd und rotem Wams einen schwarzen Mantel und eine Kappe auf dem Kopf.Distanz und Nähe, Offenheit und Verschlossenheit bietet er gleichzeitig an.In den Händen hält er einen Brief, der Identität und Adresse preisgibt: Georg Gisze, Kaufmann im Stahlhof, dem bedeutenden Handelszentrum der deutschen Kaufleute der Hanse in London.

Gisze ist förmlich eingekreist und bedrängt von Gegenständen, die seine Tätigkeit und seine Persönlichkeit beschreiben.Eingezwängt zwischen Tisch und Rückwand seines Kontors darf man von ihm keine Bewegung erhoffen, sonst würde er alles durcheinanderwerfen.Vor allem die Glasvase am vorderen Rand des mit einem kostbaren orientalischen Teppich bedeckten Tisches fiele nicht nur vom Tisch herunter, sondern aus dem Bild heraus dem Betrachter unmittelbar vor die Füße.Der Dargestellte ist für den Betrachter stillgestellt.So soll er sich die Zeit nehmen, den Überfluß von Gegenständen genau anzusehen.Sie beschreiben den Porträtierten in seinem Beruf und seinem Charakter, sie kennzeichnen aber auch die Meisterschaft des Malers, der seine Fähigkeiten geradezu übereifrig vorträgt.Holbein präsentiert nicht nur Gisze, sondern durch seine Kunst auch sich selbst.Uhr und Petschaft, Siegelring und Siegelplättchen, Schere und Schreibfeder, vor allem aber das durchsichtige Glas und die Blumen bezeugen, wie Malerei im Licht reflektierende Gegenstände in ihren stofflichen Eigenschaften sinnlich greifbar zu vergegenwärtigen vermag.Rechnungen, Briefe des Bruders aus Danzig an der Wand, Schlüssel, Bücher, Waage und Gewichte umgeben Gisze.Auch die kostbare goldene Kugel ist ein Utensil, dient es doch der Schnur zum Verpacken von Paketen.

Ganz unverfänglich integriert haben sich nur zwei Schriftzüge aus den Gebrauchsgegenständen heraus.Links neben der Waage ist der Wahlspruch des Kaufmanns auf die Rückwand geschrieben: Nulla sine merore voluptas (Keine Freude ohne Preis).Über ihm befindet sich ein mit Siegellack angeklebter Zettel, auf dem als Distichon in lateinischer und griechischer Sprache der Dargestellte als der 34jährige Georg Gisze, 1532, ausgewiesen wird.Er war im gleichen Alter wie der Maler.

Holbein hat Gisze in seinem Kontor als wohlhabenden Kaufmann dargestellt.Nicht nur Kleidung und Gegenstände, sondern auch das Gemälde selbst, das durch die vielen Accessoirs aus der Bildnistradition herausragt, machen den Reichtum aus.Den Preis muß man sich hoch vorstellen, denn die vielen gemalten Gegenstände erforderten Meisterschaft und teure Zeit.Der Maler hat sich schwergetan, die vielen Dinge um Gisze in eine Ordnung und eine Ausgewogenheit zu bringen.Mit bloßem Auge ist über dem Kopf zu erkennen, daß der ursprünglich vorgesehene Hintergrund übermalt wurde, wohl um Gisze aus der Bedrängnis der vielen Attribute etwas herauszulösen und ihm mehr Raum zu belassen.Auch der Kopf war ursprünglich wohl frontal angelegt.Die Zentralperspektive hat den Maler noch nicht gekümmert.Tisch und Regale sind attributiv aufgefaßt und geben keinen wirklichen Raum wieder, sondern prägen den Raum des Bildes.Nur kurze Zeit später, nun Hofmaler und mit Aufträgen überhäuft, sollte er in den berühmten, sogenannten "Gesandten" (London, National Gallery) die Zentralperspektive beherrschen.In diesem und folgenden Meisterwerken ist alles bedacht und ausgewogen.Damit verlor sich aber auch der besondere Reiz des Suchenden, den man im "Gisze" noch auf Holbeins Weg zu höchster künstlerischer Vollendung findet.

Die Vase und die Blumen, die identifizierbar sind und gemeinsam im Juni blühen und wohltuend duften, wurden wohl zuletzt gemalt.Sie könnten auf eine Bestimmung als Verlöbnisbild hinweisen, denn nur wenig später ehelichte der Kaufmann die Danzigerin Christine Krüger.Mit seinem Bildnis und den Hinweisen auf Wohlstand, Fleiß, Erfolg, Ehrlichkeit und Treue konnte Gisze das Gemälde statt seiner selbst die Werbung aussprechen lassen.Für den Maler hingegen bedeutete das Werk nicht nur die Erfüllung eines Auftrags, sondern es diente ihm auch als Zeugnis seiner Kunst.Der stolze Künstler bewies, daß seine Malerei Leben festzuhalten vermochte, worauf das humanistisch-gelehrte Distichon anspielt: "...so lebendig ist sein Auge, so seine Wangen geformt".

Der Autor ist Ordinarius für Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und Gründungsdirektor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris.

THOMAS W.GAEHTGENS

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false