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Kultur: Woll und Haben

Glasnost und Perestroijka herrschen jetzt in Berlins Kulturverwaltung. Das hat historische Parallelen - die Lage ist ernst, das System der Subventionen droht zu kollabieren.

Glasnost und Perestroijka herrschen jetzt in Berlins Kulturverwaltung. Das hat historische Parallelen - die Lage ist ernst, das System der Subventionen droht zu kollabieren. Die Atmosphäre bei der Sparklausur des Senats war, wie Thomas Flierl im Gespräch mit Journalisten gestern berichtete, von einer "panischen Heiterkeit" geprägt angesichts des Schuldenbergs und der faktischen Unmöglichkeit, im großen Stil zu sparen. Dazu fand Flierl die Formulierung: "Wir orientieren uns hoffnungslos an den Realitäten."

Ein Overhead-Projektor und etliche Haushaltsfolien sollten Transparenz schaffen. Am Ende war die Verwirrung über den gegenwärtigen und künftigen Kulturetat nur größer. Das Budget dürfte, bei aller Vorsicht, 2002 bei 385 Millionen, 2003 bei 345 Millionen Euro liegen. Senator Flierl zeigte sich zufrieden. Die Kürzungen im Kulturbereich fallen überraschend knapp aus. Kleinere Institutionen wie das Küntlerhaus Bethanien, die Chöre AG oder die Kunstwerke bekommen weniger Geld. Wie aber geht es zu, dass ab 2003 der Berliner Kulturetat um insgeamt 58 Millionen Euro entlastet werden soll?

Das ist neu: Der Berliner Senat will sich vollständig aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verabschieden. 31 Millionen Euro Investitionsmittel soll der Bund ebenso übernehmen wie weitere 27 Millionen Euro aus dem Bereich der so genannten komsumtiven Mittel. Der Bund wird in einer bisher ungeahnten Dimension für die hauptstädtische Kultur herangezogen: Wunschdenken oder Versuch, Verhandlungen mit dem Bund zu erzwingen, angesichts des drohenden Berliner Haushaltsnotstands. Doch selbst wenn die rot-grüne Bundesregierung, was unwahrscheinlich ist, da mitspielt - der Bundeshaushalt 2003 wird erst nach der Bundestagswahl im September verabschiedet, dann könnte man es mit einem Kulturstaatsminister der Union zu tun bekommen.

Auf diesem riskanten Schleichweg hat Flierl Zeit gewonnen. Es handelt sich um eine Art Kürzungsmoratorium für die Kultur. Im Frühsommer geht es in die nächste Beratungsrunde für die Jahre 2004 bis 2006. Anschließend soll das noch zu organisierende "Forum Kultur" das Wort haben - ein Gremium unabhängiger Experten, die anhand politischer Spar-Vorgaben "ergebnisoffen" diskutieren. Das wäre der Beginn der Perestrojka, der Umgestaltung der Kulturszene, die Durchsetzung neuer Strukturen.

Oder - die notwendigen Grausamkeiten sind bloß aufgeschoben, sie sollen von der Kulturszene selbst sanktioniert werden. "Gemeinsam zu mutigen Entscheidungen kommen", so hört sich das bei Flierl an. Doch als er nach der - bereits beschlossenen - Zusammenlegung der Ballett-Compagnien von Deutscher Oper und Staatsoper gefragt wurde, einer vergleichsweise harmlosen und wohl unumstrittenen Maßnahme, klang der Senator schon wieder kleinlaut. Es solle nicht der Eindruck erweckt werden, dass irgend jemanden etwas weggenommen würde usw. Mit solcher Zaghaftigkeit braucht Flierl an größere Umbauten gar nicht erst heranzugehen - immer die Zustimmung des Bundes vorausgesetzt, eben mal 58 Millionen Euro lockerzumachen. Wenn das nicht funktioniert, fliegt der Laden schnell in die Luft.

Rüdiger Schaper

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