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KUNST Stücke: Wurfgeschosse

Claudia Wahjudi sieht sich Steine und Glühbirnen an

27 Steine hat die Besucherin schon geworfen, um ein paar Glühbirnen an der Decke zu zertrümmern. Vergeblich. Schneller zu Bruch gingen die Birnen bei der Eröffnung von Diango Hernández’ erster Ausstellung in der Galerie Barbara Thumm. Da ließen die Gäste Steine hageln, und rasch lag die Installation im Dunklen. Hernández geht es um Ernesto Guevaras „Guerillakampf und Befreiungsbewegung“. Den Text des Revolutionärs hat der 1970 in Kuba geborene Künstler in einer Broschüre nachgedruckt und mit Collagen illustriert, die er ebenfalls zeigt: alte Fotos von gediegenen Porzellanfiguren, denen er mit geschnipselten Pornobildern zu Leibe rückt. Differenzierter argumentiert Hernández mit den Glühbirnen. Guevara nannte einst das Licht den nächtlichen Feind des Guerillero. Andererseits gilt Licht als Allegorie der Aufklärung und Befreiung. Was also passiert, wenn es dunkel wird und der Partisan angreifen kann? Die Antworten sind ernüchternd. Viele Eröffnungsgäste verließen, kaum waren die Glühbirnen zerschossen, den Raum und verpassten so die Pointe: Im Dunklen begannen die Rahmen der nun unsichtbaren Collagen türkis zu leuchten. In der Masse wird der Mensch eben unachtsam. Wer dagegen an einem regulären Öffnungstag Steine wirft, muss feststellen: Allein richtet er gar nichts aus. Die oben erwähnte Besucherin jedenfalls gab nach 45 Würfen auf (bis 25. Oktober, Markgrafenstraße 69, 1800-40 000 Euro).

Nur eine Glühbirne leuchtet im dämmrigen Kabinett, einer Kiste aus Beton. Miroslaw Balka hat sie gegossen, gerade so groß, dass ein Mensch sich hineinzwängen kann. Folterkammer oder Schutzraum? In einen anderen Betonblock hat Balka in der Galerie Nordenhake leere Konservendosen eingefügt. Das lässt an Lebensmittelvorräte denken, an Bunker und die aberwitzige Hoffnung, einen Atomschlag zu überleben, doch für den 1958 geborenen Warschauer sind es Erinnerungen an Kindertage, als eingelegte Pfirsiche eine Delikatesse waren. Welche Erinnerungen bleiben einem Menschen und welche an die Menschheit? Mit lediglich fünf neuen Skulpturen fasst Balka seine Themen so exemplarisch wie sinnlich zusammen. Das abgenutzte Geländer aus dem Haus seiner Familie ruft Bilder von Wäschetagen und turnenden Gören hervor – und eine Ahnung von Grauen, wenn sich das Metall kreischend auf seinem Sockel dreht. Schroff und spröde in Beton verewigt, zeugen die Alltagsdinge sowohl von Gewalt als auch Geborgenheit. Am Fenster mit Blick zur Rudi-Dutschke- Straße lässt Balka einen Ziegelstein balancieren, eine Reminiszenz an 1968. Er liegt nur lose auf, doch niemand nimmt ihn in die Hand. Kein Wurfgeschoss, sondern Anstoß zur Kontemplation (bis 11. Oktober, Lindenstraße 34, 25 000-50 000 Euro).

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