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Yves Ravey: Ein Freund des Hauses

© promo

Yves Raveys Roman „Ein Freund des Hauses“: Tod, sicher

Todsicheres Unheil: In Yves Raveys neuem Roman „Ein Freund des Hauses“ schleicht die Gefahr lautlos heran.

Fast ein Idyll. Mutter, Tochter und Sohn sitzen abends zusammen, trinken Lindenblütentee mit Orangenaroma und betrachten die Bilder im Familienalbum. Auf einem Foto ist ein sonntäglich gekleideter Mann zu sehen, mit Anzug und Krawatte. Nie zuvor hat die Mutter von dem Krawattenmann gesprochen. Es ist ihr Cousin Freddy. Dann klingelt es. Die Mutter geht zur Tür und dreht den Schlüssel um. Und auf der Schwelle steht Freddy. Die Mutter legt den Finger auf den Mund, um ihre Kinder aufzufordern, still zu sein. Außerdem löscht sie das Licht auf der Veranda. Damit kein Nachbar den Besucher sieht. Denn Freddy kommt aus dem Gefängnis, in dem er 15 Jahre zugebracht hat. Weil er ein Mädchen missbraucht hatte.

In Yves Raveys Roman „Ein Freund des Hauses“ schleicht sich die Gefahr lautlos heran, das Unheimliche kriecht durch Spalten und Ritzen. Todsicher wird ein Unheil geschehen. Oder baut Ravey, ein Meister der Suspense-Dramaturgie, diese Erwartung bloß auf, um sie dann lustvoll zu enttäuschen? Cousin Freddy passt in das Schema des geistig minderbemittelten Triebtäters. Er wirkt wie ein alt gewordenes Kind, verhält sich unbedarft, spricht wenig. Je stiller er ist, desto lauter wird der Hund, den er sich zugelegt hat. Die Mutter fürchtet um die Sicherheit ihrer Tochter Clémence, weigert sich, ihren Verwandten aufzunehmen, beschwert sich bei der Polizei und seinem Bewährungshelfer. Doch die sagen bloß: Nichts liege gegen den Mann vor, in der Haft habe er sich mustergültig verhalten. Einmal wacht die Mutter mitten in der Nacht vom Knirschen des Kieses im Vorgarten auf. Vor ihrer Tür sitzt der Hund.

Spannung und Stimmung auf nur 93 Seiten

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des Sohnes, der kurz davor ist, die Schule zu beenden, und an einer Tankstelle jobbt. Aber wie kann es sein, dass er von Unterhaltungen seiner Mutter berichtet, als wäre er dabei gewesen? Unklar bleiben auch Zeit und Ort der Handlung. Es gibt noch keine Handys, viele Mofas sind unterwegs. Wir könnten uns in den siebziger oder achtziger Jahren befinden, in einem dieser französischen Provinzstädtchen, in denen auch Claude Chabrol gerne seine filmischen Abrechnungen mit der Bourgeoisie angesiedelt hat.

Als Oberbourgeois fungiert Maître Montussaint, ein Notar, der Villa und Sportcoupé besitzt und sich gerne mit den jungen Leuten des Ortes umgibt. Er gehört einer Jagdgesellschaft an, kann also mit Waffen umgehen. In dieser skizzenhaften Prosa kommt es auf jedes Detail an, eine zentrale Rolle spielt das Schulbuch, mit dem sich Clémence auf ihre Prüfung vorbereitet. Yves Ravey, der in Frankreich bereits 18 Bücher veröffentlicht hat, ist ein Meister der Verknappung. „Bruderliebe“, sein erster Roman, der in Deutschland herauskam, war 110 Seiten lang. Für „Ein Freund des Hauses“ reichen nun 93 Seiten. Mit wenigen Worten Spannung schaffen und Stimmungen evozieren: Das ist große Kunst.

Yves Ravey: Ein Freund des Hauses. Roman. Aus dem Französischen von Angela Wicharz-Lindner. Verlag Antje Kunstmann, München 2014. 93 Seiten, 14,95 €.

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