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Kultur: Zahmer Eisbär unter zivilen Monstern

Aus dem wie gefrorene Kristalle strahlenden Vorhang ragt die Tür eines altmodischen Kühlschranks.Seltsam.

Aus dem wie gefrorene Kristalle strahlenden Vorhang ragt die Tür eines altmodischen Kühlschranks.Seltsam.Denn hier in der Eiswüste Grönlands macht sich einer von zwei abgestürzten Fliegern mit der Abgeklärtheit eines Weisen davon in den unvermeidlichen Tod.Kein Schuß, kein Selbstmordopfer.Der sterbenskranke Maschinist Ipling durchschreitet still die weiße Wand, um dem Piloten Ramper die Rettung zu ermöglichen.Es ist die vielleicht gelungenste Szene in der Inszenierung der jungen Regisseurin Simone Blattner (im Münchner Cuvilliéstheater).Die Kühlbox aber ist eine von vielen faustdicken Verfremdungs-Pointen, ein Verweis, daß in einer überkandidelten Zivilisation "ewiges Eis" kaum anders vorstellbar sei als in Assoziation zu dem Küchengerät.Simone Blattner hat sich die Wiederentdeckung des 1925 entstandenen Dramas "Ramper" und seines einst vielgespielten Autors Max Mohr (1891 bis 1937) vorgenommen.Und fällt sich im Vorspiel gleich selbst in den Rücken, indem sie die fiktive Künstlichkeit der Geschichte ausstellt.

Dabei hat Mohr, Arzt, Extrembergsteiger und umgetriebener Schriftsteller, der als Jude vor den Nazis nach Shanghai floh, eher ein hirnwütiges, doch aber leidenschaftliches Märchen geschrieben von des Menschen uneinlösbarer Sehnsucht nach Einssein mit Ur-Natur, Ur-Welt.Ein skizzierter Entwurf, der Zeitkritik und Zeitgeist der Zwanziger Jahre, papierige Kolportage und die Phantastik der Utopie kurzerhand über einen Leisten schlägt.Reizvolle Ungereimtheiten, die die Regisseurin glättet im stilisierten Design eines Beinahe-Salonstücks.

Zwanzig Jahre hat Ramper in der Eiswüste überlebt, er mutierte, so berichten seine späteren Betreuer, richtiger: Eigentümer, zum Tiermenschen.Ein Artistenpärchen führt den Sprachlosen als Monstrum in seiner Clownsnummer vor.Ein Irrendoktor kauft ihn und dressiert ihn zurück zum Menschen, dessen Gattin Norma, eine frustrierte Gesellschaftsdame, verliebt sich in Ramper.Sie träumt vom gemeinsamen Leben in schöner Einfachheit.Doch Ramper stellt sich quer: Er will zurück in die Ur-Heimat zu ewigem Eis und endlosem Himmel.Gleichviel ob Mensch oder Tier, ob Yeti oder irrer Traum.Am Ende hat sich Ramper mit einem Anflug von wildem Knurren befreit von Normas egoistischer Liebesumarmung, zurück bleibt ein armes Geschöpf, ein zahmer Eisbär, der im Hafen sehnsüchtig den Nordlanddampfern nachblickt.Ein Fall für die Caritas wahrscheinlich.

Simone Blattner ist eine Dekorationskünstlerin schöner theatralischer Äußerlichkeiten.Bei ihr fungiert Ramper, den Joachim Nimtz mit leiser Konzentration nach innen, schief eingezwängt in den eisfarbenen Westenanzug, spielt, eher wie der Auslöser einer Kamera, die die Schrecken der Zivilisationskrüppel um ihn grell beleuchtet.Sie sind Karikaturen deformierter Plastikmenschen, zu schrill gezeichnet, um, wie vielleicht beabsichtigt, Spiegel unserer außenlackierten 90er-Jahre-Gesellschaft zu sein.Der Arzt (Wolfgang Hinze stützt das Hinkebein mit elegantem Gehstöckchen) ist eine mephistophelische Wissenschaftler-Witzfigur, und obendrein ein Klischee.So erfriert im Kunst-Eis einer Inszenierung die märchenwilde Phantastik des Stückes, sein verwegener, mit der Selbstzerstörung spielender Traum.

München, Cuvilliéstheater, wieder am 18.und 19.Dezember, 9.und 10.Januar.

INGRID SEIDENFADEN

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