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Feenzauber. Eine der unbetitelten Arbeiten aus Zemánkovás Werk.

© Galerie Weiss

Anna Zemánková in der Galerie Weiss: Zärtliche Kreatur

Visionäres Herbarium: Die erste deutsche Soloschau von Anna Zemánková, die erst als 50-Jährige ihre wahre Profession als Künstlerin fand.

Am liebsten arbeitete Anna Zemánková frühmorgens, wenn die Begleitmusik eines Bach, Beethoven oder Janàcek sie in Trance geraten ließ. Mit 35 Arbeiten auf Papier erinnert die Galerie Weiss an eine Künstlerin, die erst als 50-Jährige ihre wahre Profession fand. Abgeschottet von westlichen Kunstströmungen entstanden in Prag zunächst abstrakte Gebilde aus Linien, Wellen und Punkten in Tempera, mit Kugelschreiber und Tusche. Daraus erwuchs ein höchst artifizieller Kosmos organisch-biomorpher Figurationen in lichten, meist erdigen Tönen.

Was zum Vergleich mit Pflanzen, Insekten oder gar Musikinstrumenten animiert, hält dem Abgleich mit der Wirklichkeit nicht stand: „Ich lasse Pflanzen wachsen, die anderswo nicht wachsen“, kommentierte Zemánková ihre Blätter, denen sie keine Titel gab. Ein visionäres Herbarium, eine rätselhafte Partitur aus Farben, Formen und fragilen Arabesken tut sich auf, nicht zuletzt verhaftet jener mediumistischen Kunst, die in der tschechischen Geschichte eine lange Tradition hat. Doch verkehrte Zemánková in keinen spiritistischen Zirkeln wie andere abstrakte Avantgardisten um 1900.

1908 als Tochter eines Friseurs geboren, begann Anna Zemánková als Jugendliche, Landschaften zu malen. An die Kunstakademie durfte sie jedoch nicht, ihre Gemälde räumte sie auf den Dachboden. Die ausgebildete Zahntechnikerin gab 1933 nach ihrer Heirat den Beruf sowie jede künstlerische Tätigkeit auf, wurde Ehefrau und Mutter. Ihr erstes Kind starb vierjährig an Krebs – ein Schicksalsschlag, von dem sie sich nie wieder erholte. Sie bekam noch zwei Söhne, hatte Fehlgeburten. 1948 zog sie mit ihrer Familie nach Prag, später litt Zemánková an schweren Depressionen.

Immer spiritueller und mystischer

Ermutigt durch ihre Söhne, nahm sie die Malerei wieder auf, ihre Bilder wurden zum Ausdruck innerseelischer Befindlichkeit. Die erste Einzelausstellung fand 1966 im Prager „Theater am Geländer“ statt, international gelang Zemánková 1979 mit der Teilnahme an der Schau „Outsiders“ in der Londoner Havard Gallery der Durchbruch.

Der kommerzielle Erfolg führte zu einer sorgfältigeren und raffinierten Gestaltung. Von Tempera wechselte die Malerin zum Pastell, teilweise begann sie ihre Bilder akribisch mit farbigen, oft leuchtenden Garnen zu sticken, wobei Glasstücke und Strass zum Einsatz kamen. Ideen lieferten die tschechische Sagenwelt und mährische Textilkunst, ihre Motive wiederholte sie schließlich im Briefmarkenformat. Ihr Werk wurde immer spiritueller und mystischer.

Nach ihrem Tod 1984 wuchs Zemánkovás Renommee erneut. 2013 war ihre skurrile Gedankenkunst auf der Biennale von Venedig zu sehen, 2017 kam eine Soloschau in der Collection de l’art brut in Lausanne. Die Galerie Weiss zeigt nun die erste deutsche Einzelausstellung (Preise: 1000-25 000 Euro).

Galerie Weiss, Bundesallee 221; bis 23.2., Di–Sa 13–18 Uhr

Angelika Leitzke

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