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Kultur: Zehn Jahre danach: Mit Stacheldrahtrollen fing alles an

Die Spuren der Berliner Mauer sind heute weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Der Streit um die Gedenkstätte in der Bernauer Straße hat darüber hinaus gezeigt, daß einige am liebsten gar nicht mehr an diesen Abschnitt deutscher Geschichte erinnert werden wollen.

Die Spuren der Berliner Mauer sind heute weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Der Streit um die Gedenkstätte in der Bernauer Straße hat darüber hinaus gezeigt, daß einige am liebsten gar nicht mehr an diesen Abschnitt deutscher Geschichte erinnert werden wollen. Grund genug, den Berliner Autoren Thomas Flemming und Hagen Koch dafür zu danken, daß sie zum 10. Jahrestag des Mauerfalls einen umfangreichen Text-, Bild- und Dokumentenband vorlegen, der uns noch einmal zusammenhängend die Geschichte dieses "politischen Bauwerkes", so der Untertitel, vor Augen führt.

Die Existenz dieser einst so grausam-tragischen Grenze hat das Leben dieser Stadt über fast ein halbes Jahrhundert zutiefst geprägt - auf östlicher wie westlicher Seite. Der Mauerbau im August 1961 beschädigte den Lebensweg unzähliger Menschen. Der darauffolgende ideologische Konflikt, genannt "Kalter Krieg", lieferte mehr Polemik als Fakten - ebenfalls auf beiden Seiten. Am Ende gerieten die eigentlichen Fragen dieses Konfliktes aus dem Blickfeld. Wer hatte diese Grenze konkret zu verantworten? Warum war sie überhaupt gebaut worden? Wie hatte sie im Inneren ausgesehen? Die meisten von uns kannten sie ja nur von außen. Und schließlich ist zu fragen, wie die Menschen auf beiden Seiten im Schatten dieser Mauer gelebt haben.

Die Lektüre bietet viel Stoff zum Nachdenken und liefert indirekt Antworten auf die eben genannten Fragen. Ausgehend von Originaldokumenten der DDR-Grenztruppen, wird der Werdegang dieser Grenze von Anfang bis Ende nachvollzogen. Zu Recht weisen die Autoren darauf hin, daß der Begriff "Mauer" irreführend ist. Bereits im Juni 1963 etablierte die DDR ein "Grenzgebiet", das selbst für die dort wohnenden DDR-Bürger nur mit Sonderausweis zu betreten war. Bei einer Breite von 40 Metern bis zu 1,5 Kilometern kann man getrost von einem militärischen Sperrgebiet sprechen. "Jene 3,60 Meter hohe Betonmauer, die im Westen als die Mauer galt, bekam die DDR-Bevölkerung bis 1989 nicht zu Gesicht." Wenn heute also beide Seiten von der "Mauer" reden, meinen sie jeweils etwas anderes. Die erste Grenzbefestigung war übrigens Stacheldraht, der später durch Hohlblocksteine und dann Betonplatten ersetzt wurde. Die Mauer aus den vorfabrizierten Betonelementen, versehen mit der sogenannten Mauerrolle, wurde erst ab 1976 im Stadtgebiet aufgestellt: insgesamt 45 000 Segmente zum Stückpreis von 359 DDR-Mark.

Aus heutiger Perspektive erscheint die politische Entscheidung zum Bau der Grenze als heller Wahnsinn. Dies verdeutlichen allein schon die Grunddaten des Bauwerkes: In und um Berlin wurden 106 Kilometer Betonmauer, 127,5 Kilometer Signal- und Sperrzäune und 302 Beobachtungstürme angelegt. Bedenkt man den Kolonnenweg im Grenzinneren, die Lichtmasten zur Beleuchtung der Grenzanlagen in der Nacht, die Panzersperren und die Hundeläufe, so wird der gigantische Aufwand in materieller wie finanzieller Hinsicht deutlich. Die damit verbundenen Folgekosten sowie der Einsatz der Grenztruppen ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die bauliche Betreuung der Grenze blieb eine permanente Aufgabe und dürfte mit Sicherheit zum wirtschaftlichen Ruin der DDR beigetragen haben. Aussehen und Effektivität der Grenze hatten für die DDR-Regierung oberste politische Priorität. Jeder Fluchtversuch, jeder Schuß an der Mauer beschädigten das internationale Ansehen des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden. "Das äußere Bild der Mauer", zitieren die Autoren aus einem internen Papier der Grenztruppenführung, "muß den Ansprüchen zum Ausbau der Staatsgrenze im Abschnitt der Hauptstadt der DDR entsprechen." Die Grenze sollte also nicht nur gut aussehen, sie mußte auch absolut sicher sein. Insofern ist übrigens die ganze Diskussion um die Existenz des Schießbefehls für die Grenztruppen überflüssig. Natürlich mußte geschossen werden, wenn der "Grenzdurchbruch", wie die Fluchtversuche in der verkorksten Amtssprache der DDR hießen, nicht anders zu verhindern war. Der Band beschreibt detailliert, wie die DDR-Oberen mit dieser Aufgabe umgegangen sind: die Belohnung der Grenzer, die geschossen hatten, die Indoktrination der Grenzer mit Hilfe eines haßerfüllten Feindbildes und schließlich der Aufbau eines Informantensystems im Grenzgebiet ähnlich der IMs bei der Stasi. Ende der achtziger Jahre wollte die DDR-Führung sogar die Hochtechnologie bemühen, um mit Hilfe von Sensoren und Elektronik das Grenzgebiet absolut unzugänglich zu machen. Die technischen Schwierigkeiten und die marode Wirtschaft verhinderten die Realisierung des Projektes. Die Gesamtkosten der Grenzsicherung beliefen sich im DDR-Haushalt 1989 auf nicht weniger als 1,221 Milliarden DDR-Mark.

Am Ende bleibt die Frage nach dem Warum und Wofür. Das kommunistische System der DDR war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Schon vor der offiziellen Gründung der DDR hatten die Menschen, vor allem die jüngeren, mit den Füßen abzustimmen begonnen und waren in den Westen gegangen. Der Mauerbau verzögerte zwar 1961 den sich schon damals abzeichnenden Zusammenbruch, doch die grundsätzliche Problematik blieb. Nicht das Werben von westlicher Seite war die Ursache, sondern es waren "die Unzulänglichkeiten unserer Arbeit", wie Walter Ulbricht selbstkritisch auf einer Sitzung des Politbüros feststellte. Während die westlichen Siegermächte den Wiederaufbau Deutschlands nach der Katastrophe des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges auf der Grundlage von Freiheit und Demokratie in Gang setzten, war die östliche Siegermacht Sowjetunion nicht bereit, diese Grundwerte in ihrem Machtbereich zu respektieren. Die deutschen Kommunisten hatten ihren Staat nur mit Hilfe der sowjetischen Militärmacht etablieren können. Die befestigte Grenze innerhalb Berlins und Deutschlands richtete sich gegen die eigene Bevölkerung und sollte allein die Herrschaft der Kommunisten festigen. Die wahre Herrschaft über das System lag jedoch nicht in Ost-Berlin, sondern in Moskau. Als der sowjetische Staats- und Parteichef, Michail Gorbatschow, 1985 die Sowjetunion zu reformieren begann und die militärische Unterstützung versagte, brach das System wie ein Kartenhaus zusammen.Thomas Flemming, Hagen Koch: Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks. be.bra Verlag. Berlin 1999. 144 Seiten, 59,90 Mark

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