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Die Schriftstellerin Nicole Flattery, fotografiert 2017 in Paris.

© Conor Horgan/Hanser Verlag

Sind das die modernen Frauen?: „Zeig ihnen, wie man Spaß hat“ von Nicole Flattery

Als man sich noch aufs Rückenkratzen freute: Nicole Flatterys Debüterzählungen „Zeig ihnen, wie man Spaß hat“.

Als Nicole Flattery 2016 nach nur wenigen Monaten von ihrem Job als Assistentin eines erfolgreichen New Yorker Literaturagenten gefeuert wurde, sah es nicht gut aus. Bislang hatte die Irin Grußkarten verkauft, Mäntel in Nachtclubs entgegen genommen, die manchmal verloren gingen, und mittelmäßige Stücke verfasst während ihrer Zeit am Trinity College in Dublin, an dem sie kreatives Schreiben studierte.

Flattery zog also etwas geknickt zurück aus den USA nach Irland, nach Galway, bekam Arbeitslosengeld und versuchte, ihr Vertrauen in sich selbst nicht all zu tief sinken zu lassen. Und sie schrieb. Ein Jahr später gewann ihre Kurzgeschichte „Die Aufnahme“ den White Review Preis.

Flattery flog nach London, wo ihr zu Ehren eine hübsche kleine Party geschmissen wurde, und löste ihr Preisgeld in Höhe von 3000 Pfund ein. Ihre Betreuerin beim Arbeitsamt lobte sie mütterlich als „großartiges Mädchen“.

Der Text über eine junge Frau und ihre lähmende Beziehung zu einem narzisstischen Comedian in einer Art von postapokalyptischen New York erscheint nun auf deutsch, mit sieben weiteren in dem Band „Zeig ihnen, wie man Spaß hat“. (Aus dem Englischen von Tanja Handels Hanser Berlin, Berlin 2020. 200 S., 20 €.) Für den wird Flattery in Irland bereits gefeiert wie ein aufregend zeitgemäßer Frank O'Connor.

Man begegnet vielen seltsamen "Geistermädchen"

Die Kurzgeschichte setzt den Ton für die originellen Szenarien, die die Autorin, Jahrgang 1990, so rauschhaft entwirft: In allen acht Geschichten begegnet man seltsam namen- und gesichtslosen „Geistermädchen“ in fremdartigen, alienesken Konstellationen, in denen der Mann häufig ein wenig mächtiger ist.

Aber auch nur scheinbar. So betäubt sich der joviale Comedian Nacht für Nacht mit der titelgebenden „Aufnahme“, von der wildes Gelächter klingt – der Lohn des Komikers – , weil „geliebt zu werden“ eben das ist, was sich der Mensch am meisten wünscht. Selbst, wenn es konservierte Liebe ist, die wie ein unendliches Echo, technisch und kalt, von einem Tonbandgerät gespult wird. In „Papagei“ wandelt die Protagonistin lethargisch durch ein beklemmendes Paris kurz nach den Terroranschlägen, das zum furchteinflößenden Käfig wird. Sie ist die „andere Frau“, für die der Mann seine „untaugliche“, weil schwer depressive Ehefrau nach einer Affäre zurücklässt.

Nur kann sie sich in ihre neue Rolle als Partnerin und Stiefmutter eines neunjährigen Jungen nicht so recht einfinden: „Sie (…) fahndete in so fiebrigem Tempo nach ihrer Seele, dass man hätte meinen können, sie wühle zwischen Abbruchtrümmern nach den Resten ihrer Habseligkeiten.“

Es ist dieses innere Unbehagen, das sich bei Flattery immer an den äußeren Umständen stößt. So auch in der Titelgeschichte. Hier wirkt die Antiheldin ähnlich verloren, vom Leben derangiert. Erst nach und nach gibt der Text Hinweise darauf, dass sie in irgendwelchen schmuddeligen Filmchen mitgespielt und sich aus einer missbräuchlichen Beziehung gelöst hat.

Die Geschichten sind skurril und betörend

Nun arbeitet sie an einer Tankstelle. Diese Tankstelle, die Teil eines „Programms“ ist, vermutlich zur Resozialisierung, das sich verschiedenen gefallenen Schicksalen annimmt, zeichnet Flattery als surrealen Unort, wie einem David-Lynch-Film entsprungen, mit „stiller Romantik“ und „rostigem Reiz“, mit einer „Atmosphäre ewiger Melancholie“, gottverlassen in ein düsteres Abseits mäandernd, in der apathische Therapiegruppen-Sitzungen die Tristesse abrunden: „In der Tankstelle kam ich mir vor, als könnte einfach irgendwer an meine Stelle treten und mich spielen, solange er oder sie nur mit der richtigen gequälten Miene ausgestattet wurde, den trägen Reaktionen eines von den eigenen falschen Entscheidungen überrumpelten Menschen.“

Wunderbar gelingt es Flattery, mit jeder Geschichte ein dichtes, düster-rätselhaftes Stimmungsbild zu schaffen. Auf jeder Seite schimmern „Anzeichen von Verdorbenheit“, wie der Strang toter Fliegen, den die Protagonistin in „Süßholz“ aus ihrem Mund zieht. Und in „Buckel“ glaubt die weibliche Hauptfigur unter ihren Schultern eine Wölbung zu ertasten, „wie eine zweite Schicht Fleisch“, nachdem ihr Vater gestorben ist.

Flattery überzieht ihre Szenerien gekonnt mit diesem dumpfen, morbiden, glanzlosen Hauch, was deshalb nicht vollends deprimierend wirkt, weil sie nie den Respekt vor ihren Figuren verliert. Irgendwo gibt es dann doch noch genügend Distanz oder Amüsiertheit oder Stärke, die all die menschlichen Schwächen und Defizite auffängt.

Das bissig Trockene, das zuweilen zwischen dem gewollt ausdruckslosen Ton hervorblitzt, mal personal, mal auktorial, gibt den Geschichten ihren Charakter, skurril und betörend. Zum Beispiel wenn im Zimmer der buckligen Frau ein Rückenkratzer auftaucht, „ein Überbleibsel aus einem früheren Leben, als Rückenkratzen noch etwas war, worauf man sich freuen konnte.

Ich schlief neben ihm, und er brachte mir seine langarmige, nächtliche Anteilnahme entgegen. Wenn ich neben dieser körperlosen Hand aufwachte, ging es mir gar nicht mehr so schlecht."

Flattery ist eine zärtliche Beobachterin

Hinzu kommt, dass die Autorin eine Gabe für formvollendete Sätze hat. Obschon man nach manchen Geschichten verwirrt an den Anfang zurückblättert, weil man nicht sicher ist, was da gerade wirklich passiert ist.

Sind das nun die modernen Frauen? Dissoziativ, pathologisch, kaputt, entrückt? Auf die Frage, warum es so scheint, als würde sich bei ihren Figuren auf irritierende Weise das mentale, emotionale Selbst vom körperlichen abspalten, antwortete Flattery: „Wir leben in einer Zeit, in der wir uns ständig selbst überwachen, abseits von uns selbst“.

Margaret Atwood schrieb 1993 in „Die Räuberbraut“, eine Frau könne nicht einmal ihre Füße waschen oder ihre Haare kämmen, „ohne den ständig gegenwärtigen Beobachter zu bemerken, der durch das Schlüsselloch in deinem eigenen Kopf späht. Du bist eine Frau, in der ein Mann steckt, der eine Frau beobachtet. Du bist dein eigener Voyeur.“

Nur macht Flattery ihren Figuren keinen Vorwurf. Sie umarmt sie in ihren Unzulänglichkeiten und erweist sich als zärtliche Beobachterin. Beim Lesen fühlt sich das an, als gehöre man zum verschworenen Teil einer Welt, den nur die Autorin und ihre Protagonistinnen verstehen.

Egal wie desaströs die Umstände sind, bei Nicole Flattery wird es nie ganz dunkel. Genau das ist das Fünkchen Hoffnung, dass all die anderen Geistermädchen da draußen dringend brauchen.

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