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Kultur: Zeit für Einsteiger

Wertewandel: Der Handel mit zeitgenössischer Fotografie floriert, Klassiker haben es schwer

Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich in Berlin, dass Thomas Struth eines seiner Pergamon-Fotos, die noch bis zum 1. August im Hamburger Bahnhof zu sehen sind, dem neuen Museum für Fotografie schenken wollte. Doch dann gab es Kompetenzgerangel. Ein Struth? Der gehöre doch ins Museum für zeitgenössische Kunst. Der Künstler fand eine elegante Lösung: Er überließ das Bild dem Pergamonmuseum.

Mit solchen Zuschreibungsproblemen hält man sich am florierenden zeitgenössischen Fotomarkt nicht auf. In der kommenden Fotoauktion der Villa Grisebach werden Sequenzen von Jürgen Klauke aus den Siebzigern ganz selbstverständlich neben Klassikern der Fotografiegeschichte wie Germaine Krull oder Albert Renger-Patzsch aus den Zwanzigern aufgerufen. Auch die Art Basel verbannt die Fotogalerien nicht mehr in Sonderzonen, sondern setzt auf eine Mischung des Programms wie inzwischen viele Kunsthändler selbst. Und bei den großen Auktionshäusern erzielen Gursky und Co. mal in den Fotoauktionen, mal in der „Contemporary“-Sektion sechstellige Summen.

Zuwachsraten von jährlich 3,3 Prozent bescheinigte das Magazin Artprice.com im letzten Jahr der Fotografie, räumte aber auch starke Preisschwankungen ein. Höchstpreise erzielen nur Ikonen wie zuletzt Diane Arbus’ Ende der Sechzigerjahre entstandenes berühmtes Doppelporträt „Identical Twins“. Bei der New Yorker Frühjahrsauktion von Sotheby’s zahlte ein Sammler mit 480000 Dollar einen neuen Rekordpreis. Hier stimmte einfach alles: Bedeutung, Provenienz, Zustand. Bei Phillips, de Pury & Company fiel dagegen Händlerware wie die Sammlung Alex Novak mit Bildern aus dem 19. Jahrhundert durch. Mit einem Gesamtumsatz von 4,21 Millionen Dollar der drei Fotografie-Auktionen wertet das Haus die Saison dennoch als Erfolg, vor allem bei der Abendauktion hagelte es Rekordergebnisse: Für William Egglestons „Greenwood, Mississippi“ bot ein Liebhaber 217000 Dollar.

Ein anderer Abzug von dem glutroten Bild des Wegbereiters der Farbfotografie hängt jetzt im zweiten Teil in der Ausstellung „Seen at MoMA“ der Berliner Galerie Kicken, die historische, klassische und zeitgenössische Fotografien im Angebot hat (Linienstraße 155, bis 2. Oktober) . Der Pionier des deutschen Fotohandels gönnt sich kurz vor seinem 30. Galeriejubiläum eine wahrhaft museumsreife Ausstellung. Parallel zur Berliner Präsentation von Meisterwerken aus dem New Yorker Museum of Modern Art hat die Galerie Highlights aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zusammengetragen: Werke von Harry Callahan, Diane Arbus, Robert Frank, aber auch deutsche Künstler, die im MoMA reüssierten, wie Dieter Appelt oder Michael Schmidt. Die Preise für diese Werke haben sich in den letzten zehn Jahren teilweise verzehnfacht, resümiert Kicken, und ein Ende der Preisspirale ist noch längst nicht Sicht.

Doch es sind auch andere Stimmen zu hören: „Es gibt zu viel: zu viel Mittelmäßiges auf zu vielen Auktionen für die überschaubare Sammlerschar“, meint Hendrik Berinson, der in seiner Galerie zurzeit eine handverlesesene Cartier-Bresson-Ausstellung zeigt (Auguststraße 22, bis 14. August) , darunter auch drei rare Vintage Prints (Preise zwischen 22000 und 35000 Euro). Der Fotografieliebhaber kann der begrenzten Nachfrage aber auch etwas Positives abgewinnen: Nach wie vor sind die Preise für klassische Fotografie verhältnismäßig erschwinglich. Wer noch einsteigen will, sollte allerdings nicht zu lange warten.

Katrin Wittneven

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