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Kultur: Zeit für Zärtlichkeit

Dichterstunde im Ersten: Fritz Pleitgen spricht mit Günter Grass

Zwei ältere Herren vor einer Bücherwand, zwischen ihnen ein Tisch mit Teekanne. Die Pfeife raucht, die Brillen glitzern. Es ist Dichterzeit im Ersten. „Wie sehen Sie denn das Vaterland? Sind Sie damit zufrieden?“ „Na, wissen Sie…" Eine halbe Stunde unterhielt sich ARD-Intendant Fritz Pleitgen mit Günter Grass, der am 16. Oktober 75 Jahre wird. Zwei ältere Herren? Zwei Institutionen.

Der Nobelpreisträger, die Institution „Dichter Bürger Moralist“, schlägt sich wacker, tritt staatsmännisch und zugleich aufbegehrend auf. Er habe „keine großen Positionswechsel“ hinter sich. Aber die Welt um ihn herum, auch der befreundete Martin Walser. Dessen Paulskirchenrede betrachtet Grass „sehr kritisch“, aber ebensowenig wie Walsers übriges Werk sei „Tod eines Kritikers“ antisemitisch. Frank Schirrmacher habe in der „FAZ“ „versuchten Rufmord“ betrieben.

Das „erbärmliche Schauspiel“ des „Feuilletongezänks“ kennt Grass aus eigener Erfahrung. Gekränkt hat ihn Marcel Reich-Ranicki, als er auf dem Titelbild des „Spiegel“ seinen Roman „Die Rättin“ mit beiden Händen zer-riss. Der „Großkritiker, der sich als Quartett ausgab“, schwindele, wenn er behaupte, der „Spiegel“ habe sein Bild ohne Einwilligung benutzt. Er müsse sich entschuldigen und alles zurücknehmen.

In kurzen Häppchen folgen Antwort und Frage aufeinander. Manchmal sind Schnitte zu bemerken, einmal spielt Pleitgen auf eine frühere Äußerung an, die fehlt. Als Grass engagiert von seinem letzten Buch „In einem reichen Land“ (Steidl) über Armut in der Bundesrepublik erzählt, würgt Pleitgen ihn ab. Zunehmend geht es ihm um den Menschen: wie er den Ruhm erträgt, den Erwartungsdruck, die politische Rezeption seiner Kunst. Und wie war das mit Heinrich Böll? Grass spricht kühl von „Arbeitsteilung“, weshalb er nach dem Tod des linken Katholiken noch mehr Arbeit mit der Zeitschrift „L’80“ hatte.

Pleitgen lässt sich das Stichwort Tod nicht entgehen: Ob Grass darüber nachdenke. Das ist tatsächlich der Fall, Grass wünscht ihn sich schmerzfrei. Doch das ist kein schönes Schlusswort für eine Geburtstagssendung, weshalb Pleitgen nun zur Sinnlichkeit, der Sexualität in den Werken kommt. Weniger „stürmisch“, beteuert Grass, gehe es zu, dafür „zärtlicher“. Und wie stets auf Geburtstagen wird er versuchen, „ob ich noch einen Kopfstand hinkriege“. Nanu. Wenn sich diese überraschende Kombination nicht der Phantasie eines Cutters verdankt, muss einem um den Jubilar nicht bange sein. pla

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