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Zeit SCHRIFTEN: Die Wahrheit der Archive

Dieser kurze Text handelt von Englands berühmtestem Fernsehdokumentaristen, wie er im Internet eine neue Spielwiese entdeckte und warum er sogar ein ihm politisch freundlich gesonnenes Publikum spaltet. Dieser Mann, mit Namen Adam Curtis, der sich selbst nicht als Künstler, sondern als Journalist versteht, erzählt vom Aufstieg und Fall historischer Ideen so suggestiv, dass nicht nur der paternalistische Unterton, mit dem er im Off als Sprecher alle Fäden zusammenhält, mittlerweile Parodisten anzieht.

Von Gregor Dotzauer

Dieser kurze Text handelt von Englands berühmtestem Fernsehdokumentaristen, wie er im Internet eine neue Spielwiese entdeckte und warum er sogar ein ihm politisch freundlich gesonnenes Publikum spaltet. Dieser Mann, mit Namen Adam Curtis, der sich selbst nicht als Künstler, sondern als Journalist versteht, erzählt vom Aufstieg und Fall historischer Ideen so suggestiv, dass nicht nur der paternalistische Unterton, mit dem er im Off als Sprecher alle Fäden zusammenhält, mittlerweile Parodisten anzieht. Der beste von ihnen, Ben Woodhams, braucht in seinem Clip „The Loving Trap“ auf Youtube genau 178 Sekunden, um den entscheidenden Einwand mit jener oxfordgeschulten Autorität auszusprechen, die ihm an Curtis auf die Nerven geht: „Dies ist ein kurzer Film über einen Dokumentarfilmer, der für die BBC von der Kritik hochgepriesene Sendungen machte und nebenbei bewies, wie Stil immer über Substanz triumphiert.“

Die Wahrheit, um ein von dem 1955 geborenen Curtis manchmal zu emphatisch verwendetes Wort zu gebrauchen, ist wohl, dass Stil und Substanz in seinen Filmen ständig miteinander ringen. Zugleich liegt ihre erhellende Kraft gerade darin, dass ihr Gesamtkunstwerksdesign die disparatesten Elemente miteinander verquirlt: das Analytische mit dem Atmosphärischen, B-Picture-Schnipsel mit historischen Dokumenten, elektronische Geräusche mit eigens geführten Interviews, Brian Eno mit Richard Wagner und virtuosen Schnittkaskaden.

Der 2004 entstandene Dreiteiler „The Power of Nightmares“, den die BBC so kurz nach 9/11 nicht ausstrahlen wollte, weshalb ihn Curtis unter anderem auf archive.org veröffentlichte, bleibt zehn Jahre nach den Todesflügen auf das World Trade Center ein herausragendes Beispiel aufklärerischer Machtkritik für ein breites Publikum – und das gelungenste einer Balance zwischen Substanz und Stil.

Zwischen den Polen von Guido Knopps dumpfem Histotainment und Alexander Kluges synkretistischer Ideenflucht hält Curtis einen eigenen polemischen Kurs. Er erzählt von der unheimlichen Parallelität zwischen amerikanischem Neokonservatismus und gewalttätigem Islamismus, ja wie dankbar sie füreinander waren. Beide Bewegungen, zeigt Curtis, entstanden aus dem Unbehagen am pluralistischen Liberalismus. Ausgehend von dem Ägypter Sayyed Qtbb und dem nach Amerika emigrierten deutschen Philosophen Leo Strauss (siehe Tagesspiegel vom 2.8.), zeichnet er nach, wie Strauss-Adepten mit der Angst vor sowjetischen Superwaffen bis zur Gespensterbeschwörung eines weltumspannenden Al-Qaida-Netzwerks die US-Politik instrumentalisierten.

Weitaus assoziativer ist „All Watched Over By Machines Of Loving Grace“. Sein jüngster, nach einem Vers von Richard Brautigan benannter Dreiteiler, der auf thoughtmaybe.com zu sehen ist, einer linksliberalen Plattform, die sich dem „Handeln gegen Untertanengeist und stille Duldung“ verschrieben hat, inszeniert ein intellektuelles Ballett, das sich mit der Schriftstellerin Ayn Rand und ihrem rationalistischen Zirkel auseinandersetzt, dem auch der Wirtschaftsguru Alan Greenspan angehörte.

Es ist eine Polemik gegen die Herrschaft eines Denkens, das von Computern auf Menschen übergegriffen hat. Das leise Apokalyptische entsteht dadurch, dass Curtis zwar genau beschreibt, wie einzelne Menschen Entwicklungen anstoßen, er aber offen lässt, wie Einzelne sie aufhalten können. Dieser Zug wird dadurch verstärkt, dass er im kommentierenden Wort sofort wieder still stellt, was er bildlich-assoziativ in Bewegung gebracht hat. Die Scharniere einer eisernen Kausalität beherrschen seine Interpretationen.

Für Curtis liegt die Wahrheit in den Archiven, und Geschichte betrachtet er vom Schneidetisch aus: als ein Konvolut von Fragmenten, die man nur in die richtige Reihenfolge bringen muss, damit sie ihren verborgenen Sinn enthüllen. Seine Werkstatt ins Netz zu verlagern ist da ein naheliegender Schritt. In seinem Blog www.bbc.co.uk/blogs/adamcurtis hat er sich gerade zu den Ausschreitungen in England geäußert hat – unter anderem mit einem Filmfundstück aus dem Jahr 1969 über Skinheads und Hells Angels. Die Mitglieder solcher Gangs, entdeckt er, sind uns gesitteten Bürgern gar nicht so unähnlich. Sie langweilen sich nur mehr.

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