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Kultur: Zelte werden Häuser

Flüchtlingsträume und Trotzreaktionen: Palästinensische Filme in FORUM und PANORAMA.

Vier Soldaten in Gaza, stationiert auf dem Dach einer palästinensischen Familie stationiert. Eben noch Oberschüler, jetzt Kämpfer, Gejagte und Besatzer zugleich, im Einsatz in engen Gassen und Wohnstuben mit schwerer Ausrüstung, von Kindern mit Steinen beworfen und Müttern bespuckt. Einer dröhnt sich mit Drogen und Rockmusik zu, andere flüchten in Zynismen und Trauma. Yariv Horowitz verarbeitet in seinem 1989 angesiedelten Spielfilm Erfahrungen der eigenen Militärzeit – diese Nähe sieht man „Rock the Kashba“ ebenso an wie Horowitz’ Vergangenheit als Werbefilmer. Kamera und Montage sind so nervös wie die Soldaten. Ein fast klassisches Antikriegs-Sujet und starke Kinokost.

In Forum und Panorama sind israelische Filme traditionell stark vertreten, auch zum Palästinakonflikt wurde meist in Israel oder Europa produziert. Das sich das ändert, zeigen zwei arabische Filme, die – ebenfalls vor autobiografischem Hintergrund – von palästinensischen Flüchtlingsschicksalen erzählen. „When I Saw You“ von der in Bethlehem geborenen Annemarie Jacir geht in das Jahr 1967 hinter die jordanischen Grenze, wo der kleine Tarek aus einem Lager zu den im Wald kämpfenden Partisanen gerät und sich von deren Macho-Gestus und Kampfeswillen anstecken lässt. Ein atmosphärischer Film, der aus dem Kinderblick und erinnernder Sehnsucht das paramilitärische Leben im Wald fast romantisierend erzählt – wären da nicht autoritäre Ausbilder und interne Konflikte.

Jacir hat das alte Flüchtlingslager mit provisorischen Zelten nachgebaut, die kanadische Regisseurin Anais Barbau- Lavalette für ihren bei Ramallah spielenden Spielfilm „In’shalla“ in zwei Flüchtlingslagern bei Amman gedreht, nur die Trennmauer wurde als Set in Jordanien aufgebaut. Erzählt wird von einer kanadischen Ärztin, die immer tiefer in den Konflikt hineingezogen wird. Auch hier gibt es die Figur eines Jungen, der in der Fantasie der realen Enge entflieht.

Madhi Fleifel ist selbst im größten Flüchtlingslager des Libanons aufgewachsen, später, als die Familie nach Dänemark emigriert war, besuchte er regelmäßig die alten Freunden. Aus den Zelten waren da längst Häuserlabyrinthe geworden. „Für mich war Ain el-Helweh immer Heimat“, heißt es in „A World Not Ours“, der dokumentarisch in die eigene Geschichte zurückblickt. Paradoxerweise schien dem Jungen nach Jahren in einer Hochhauswohnung in Dubai das Lager zuerst als Hort der Freiheit. Helden sind der Großvater, der seit dem 16. Lebensjahr in Ain el-Helweh lebt und immer noch auf Rückkehr hofft. Ein Onkel, der über dem Verlust des Bruders irre wurde. Und ein Freund, El-Fatah-Mitglied, doch zunehmend an der Situation und der politischer Führung verzweifelnd. Fleifel hat in London studiert und gehört zu einer neuen Generation gut ausgebildeter Filmemacher mit „Flüchtlingshintergrund“, von denen man bald mehr hören könnte. Ein starker, ungewohnt offener Versuch, ein kollektives Gedächtnis zu schaffen.

Und die Mädchen? Einige durchaus kampfeslustige gibt es in „Art/Violence“ zu sehen, im dem es um das Vermächtnis des 2011 in Jenin erschossenen Friedensaktivisten und Theaterleiters Juliano Mer-Khamis geht. Seine Schülerinnen und Schüler führen seine Arbeit weiter. Man spielt „Antigone“ und „Warten auf Godot“ mit vertauschten Geschlechterrollen und auch außerhalb des Theaters wird heftig um Frauenrechte debattiert. Ein Hauch arabischer Frühling in Palästina. Die Menschen wollen dem Leben in Gewalt mit Kunst Sinn abtrotzen.

Nur wenig Hoffnung können die Bloggerinnen in „State194“ von Dan Setton (USA/Israel) machen, denn mit jedem Siedlungsbau sinkt die Hoffnung auf Frieden. Die Doku zeigt die Versuche von Palästinenser-Premier Salam Fayyad, durch die Schaffung staatlicher Institutionen die Voraussetzungen zur Staatsgründung zu schaffen. Der in US-Manier inszenierte Film sieht oft aus wie eine PR-Stück für Fayyad und seine Regierung. Aber wenn’s der Friedensfindung dient ... Silvia Hallensleben

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