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Philosophendarsteller mit Landlust. Christoph Jöde

© Nick Jaussi

Zentrum für politische Schönheit: Heiliges Leopardenbaby, erlöse uns von allem Bösen

Hauptsache provokant: Das Zentrum für politische Schönheit zeigt am Theater Dortmund sein erstes Theaterstück „2099“.

Hohe Theaterpromi-Dichte am Schauspielhaus Dortmund: Die Uraufführung von „2099“, dem ersten Stück der Aktionskünstler vom Berliner Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) auf einer Theaterbühne, gleicht einem Betriebsausflug. Schließlich gilt das ZPS zurzeit als Branchen-Aufreger par excellence.

Mit Interventionen wie der Mauerkreuz-Aktion letzten November oder der symbolischen Beisetzung von Menschen, die beim Fluchtversuch in die Festung Europa gestorben sind, vorm Berliner Reichstag spaltet das ZPS die Meinungslandschaft.

Auch diesmal fand ein großer Teil der Performance außerhalb der Bühne statt. Beziehungsweise – hatte längst stattgefunden, als der Schauspieler Uwe Schmieder sich zum Auftakt von „2099“ mit einer brechtianischen Rede wider die Geschichtsvergessenheit ans Publikum wandte.

Wenige Tage vor der Premiere hatte das ZPS angekündigt, im Anschluss an die Dortmunder Aufführung zum lokalen Zoo zu ziehen und das Leopardenbaby Raja zu erschießen, quasi das westfälische Äquivalent zum einstigen Berlin-Maskottchen Knut. Und zwar als Fingerzeig auf die „Abgestumpftheit“ des gemeinen Europäers, Deutschen, Dortmunders gegenüber der „genozidalen Massenvernichtung in Syrien“.

Dass diese Drohung, wie prompt eingewendet wurde, nicht gerade subtil ist, wird niemand bestreiten. Nur dürfte Subtilität eben auch das Letzte sein, worum es der Truppe um Mastermind Philipp Ruch geht. Im Gegenteil. Es erhöht den (Selbst-)Erkenntniswert, die Aktionen des ZPS auch als eine Art globales Mitmachtheater zu betrachten, dessen Akteure, also wir, ihre Argumentationsreflexe demonstrieren und so eingefahrene Reiz-Reaktions-Schemata vorführen.

„2099“ unterläuft sämtliche Skandalerwartungen

Bis jetzt war jedenfalls noch kein Köder unsubtil genug: Auch im Falle des Leopardenbabys traten umgehend Tierschützer auf den Plan und boten sich – lokalmedial ausgiebig orchestriert – besorgte Zeitgenossen bei der Zooleitung als Nachtwache an. Und weil’s so gut funktionierte, trieb das ZPS dieses Vorab-Spiel sogar noch weiter und behauptete, im Besitz zweier vor einigen Wochen aus dem Dortmunder Zoo entwendeter „Zwergagutis“ zu sein.

Klingt gaga, zwang das koproduzierende Dortmunder Theater de facto aber zu einer Presseerklärung, die sich angesichts der Weltlage und der Flüchtlingssituation ziemlich denkwürdig liest: Da das ZPS mit der möglichen Entwendung der „seltenen Zwergseidenaffen-Art eine moralische und ethische Grenze überschritten“ habe, die „durch nichts gerechtfertigt“ sei, behalte man sich vor, „die Premiere abzubrechen, falls die Affen auf der Bühne präsentiert würden“.

Das wurde natürlich nicht nötig. Denn die Aufführung „2099“ selbst unterläuft sämtliche potenziellen Skandalerwartungen. Stattdessen: ein 90-minütiger, weitestgehend ungebrochener moralischer Appell, eine Art „Publikumsbeschimpfung“, die einzig und allein zum politischen Eingreifen aufrufen will. Zynismusfrei, ironiefern, mit nachdrücklichem Furor.

Vier Philosophen (Björn Gabriel, Christoph Jöde, Sebastian Kuschmann und Uwe Schmieder), die bereits im Jahr 2099 angelangt sind, beamen sich in die Jetztzeit zurück, um uns 2015er aus unserem ahistorischen Schlummer zu reißen. „Bis 2032 werden mehr als 600 Millionen Menschen an Hunger, Armut und Krieg sterben“, beschwört einer von ihnen, Hercules, die Zuschauer und konstatiert wütend: „Regt sich nichts. Muss ich vielleicht noch mal sagen: 600 Millionen – die Sie hätten verhindern können!“ Doch statt unseren „in der Geschichte der Menschheit beispiellosen Reichtum und Luxus“ zur Rettung unserer Artgenossen einzusetzen, trügen wir ihn halt lieber ins Yogastudio.

„Was hast du während des Völkermordes an den Bosniern gemacht?“, rufen die Philosophen später ins Parkett. Eine Zuschauerin wird auf die Bühne gebeten, um einen Schwur auf den Humanismus zu leisten. Und für alle, die sich da unten möglicherweise lässig zurückgelehnt und an die momentane Willkommenskultur gedacht hatten, halten die vier Philosophen kurz vor Schluss noch einen Klamottenberg parat, den sie wütend ins Publikum schleudern: Das könnten wir alles zurücknehmen, was wir da bereitwillig zu Hauptbahnhöfen oder Flüchtlingsunterkünften getragen hätten.

Dass das wahnsinnig nervt, gehört zum Kalkül

Noch eine klare Ansage also: Bekämpft nicht die Symptome, sondern die Ursachen! Im Gegensatz zu den ZPS-Aktionen im öffentlichen Raum, die ihren moralischen Kern enthüllen, indem sie uns zur Veröffentlichung der Widersprüche in unserem Selbstbild zwingen, ist „2099“ also eine thematisch an Brechts „Guten Menschen von Sezuan“ gemahnende Moraldusche: eine im Theater äußerst ungewöhnliche Erfahrung. Dass das wahnsinnig nervt und mitunter intellektuelle Abwehrreflexe hervorruft, gehört zum Kalkül. Und natürlich drängt sich auch die Frage auf, ob diesem szenisch bewusst armen Appell-Theater nicht schlicht eine gewisse Mittelschwäche zugrunde liegt.

Nur: Das ist genauso zweitrangig wie die ebenfalls immer wieder aufs Tapet gebrachte Spekulation über die PR-Umtriebigkeit von Ruch und Co. Denn dass das ZPS mit Aktionen wie der Leopardenbaby-Tötungsdrohung immer auch die Werbetrommel für sich selbst rührt, liegt erstens in der Natur der Sache und wird zweitens kein halbwegs klarsichtiger Mensch bestreiten – am allerwenigsten das ZPS selbst. Wirkungen allerdings stellen sich bekanntlich durchaus (auch) unabhängig von den Intentionen ein, die ihnen vermeintlich zugrunde liegen.

Weshalb auch ein Moment interessanter ist, auf den das gebashte Publikum die ganze Zeit gewartet hat. „Was hast du während des Völkermords an den Bosniern gemacht?“, fragt ein Philosophen-Darsteller endlich nicht nur das Publikum, sondern auch seinen Bühnenkollegen. Die Antwort, zerknirscht: „Politisches Theater gespielt.“

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