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"Mauerfall" fotografiert von Thorsten Klapsch.

© Thorsten Klapsch

Berlin-Bildband von Thorsten Klapsch: Zeugnisse einer verschwundenen Stadt

Berlin ist die Hauptstadt der ewigen Verwandlung. Altes wird schnell über Bord geworfen, nur die Gegenwart zählt. Der Fotograf Thorsten Klapsch dokumentiert seit 1989 mit seiner Kamera, wie sich Berlin verwandelt. Sein Bildband "Berlin Berlin" versammelt die schönsten Ansichten.

Als Thorsten Klapsch am 9. November 1989 in der hessischen Provinz die Fernsehbilder vom Fall der Mauer sah, setzte er sich noch in derselben Nacht in sein Auto und fuhr nach Berlin. „Mir war klar“, sagt er heute, „dies wird das größte politische Ereignis sein, das ich persönlich miterleben darf“. So dachten damals viele, von überallher strömten die Menschen nach Berlin, um bei diesem historischen Augenblick dabei zu sein, an dem eine dreißig Jahre lang geteilte Stadt sich spontan wiedervereinte. Die Autobahn war überfüllt, am Grenzübergang Herleshausen sind, so Klapsch, „Sektflaschen über die Straße gekullert“. Die Fotos, die Klapsch in Berlin machte, zeigen die Euphorie und Anarchie des Ausnahmezustands. Es sind Motive, wie sie in diesen Tagen vieltausendfach um die Welt gingen: Menschenmassen an den Grenzübergängen, DDR-Grenzer im Gespräch mit Passanten, „Mauerspechte“, die Stücke aus dem „antifaschistischen Schutzwall“ schlagen.

1990 begann Klapsch ein Fotografiestudium beim Lette-Verein in Schöneberg. Kurz darauf fing er mit dem an, was er „Orte sammeln“ nennt. Seitdem hält er mit seiner Kamera besonders markante Gebäude und Plätze fest, die mit ihrer Ästhetik von einer vergangenen Epoche künden und wie aus der Zeit gefallen scheinen. Viele der Gebäude, die er fotografierte, waren bald darauf verschwunden. So wurden seine Aufnahmen zu historischen Dokumenten und Klapsch zum Chronisten des Übergangs.

Berlin - Hauptstadt der Veränderung

Berlin war schon immer eine Hauptstadt der Veränderung. Der Satz, Berlin sei dazu verdammt, „immerfort zu werden und niemals zu sein“ ist zwar zu Tode zitiert worden, hat aber nichts von seiner Gültigkeit verloren. Er stammt aus der 1910 veröffentlichten Polemik „Berlin – ein Stadtschicksal“ des Kunstkritikers Karl Scheffler. Damals hatte sich die Einwohnerzahl innerhalb von vierzig Jahren auf 1,7 Millionen Menschen verdoppelt. Mietskasernen mit patriotischem Stuck dominierten das Erscheinungsbild der wilhelminischen Metropole. Heute, da die Stadt 3,4 Millionen Einwohner hat und jährlich weiter um 40 000 bis 50 000 Menschen wächst, gilt Schefflers Befund erst recht. Nach der Wiedervereinigung ist die Stadt zusammengewachsen, aber sie bleibt ein unvollendetes Projekt, die Heimat von Brachen und Ruinen.

Mit der Wende begann ein Bauboom, der Berlin ein neues Gesicht gab. Allein von 1993 bis 2012 sind rund 700 000 Gebäude fertiggestellt worden. Architekten haben immer etwas zu tun in dieser Stadt, die niemals fertig zu werden scheint. Berlin gibt sich als Stadt der puren Gegenwart, die Vergangenheit ist bloß noch in Spurenelementen vorhanden. Klapsch gelingt es mit seinen Fotos, die Atmosphäre eines Hauses oder Ortes genau zu erfassen. Er ist mehr Erzähler als Dokumentarist, in seinen Bildern sind Stimmungen und Bruchstücke von Geschichten konserviert. Der Betrachter muss die Bruchstücke bloß zusammenfügen. Menschen tauchen selten auf den Aufnahmen auf. So hat der Betrachter den Eindruck, dass dieser Stadtausschnitt für einen Moment ganz allein ihm gehört. Häuser und Plätze wirken wie eine leere Bühne, auf der gleich der nächste Auftritt stattfinden kann.

Thorsten Klapschs Bilder erscheinen zeitlos

Viele Fotos von Klapsch erscheinen zeitlos. Auf den ersten Blick ist es oft schwer zu sagen, wann sie entstanden sein könnten. Die Läden an der Karl-Marx-Allee, die er wohl in den neunziger Jahren fotografiert hat, eine Fleischerei, ein Briefmarkengeschäft und die „Karl Marx Buchhandlung“, tragen noch ihre alten Neonschriftzüge aus DDR-Zeiten. Sie dürften vor 1989 genauso ausgesehen haben. Und wenn er das Haus des Lehrers am Alexanderplatz mit dem umlaufenden Wandmosaik von Walter Womacka zeigt, ist nur an der kleinen Aufschrift bcc (für Berliner Congress Center) an der danebenstehenden Kongresshalle zu erkennen, dass wir uns im Jahr 2014 und nicht 1974 befinden.

Wie das Leben in Ost-Berlin vor 1989 ausgesehen haben könnte: Das lässt sich erahnen, wenn man die Bilder von Thorsten Klapsch betrachtet. Sie funktionieren wie Schlüssel, die eine Tür in die Vergangenheit öffnen. Die Fotos künden von den hochtrabenden Plänen der DDR und von der oft niederschmetternden Wirklichkeit, vom Grau-in-Grau dieses Staates wie von seinem Glanz und sogar – in den Aufnahmen des Grenzübergangs Drewitz/Dreilinden und des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit – von seiner Grausamkeit. Klapsch versteht sich als Jäger und Sammler, der mit seiner Kamera Orte und Bauten festhält, die bald schon Vergangenheit sein könnten. „Deshalb fotografiere ich wie ein Wahnsinniger in dieser Stadt“, erzählt er, „weil ich weiß: Das Gebäude, dass ich gerade aufnehme, wird möglicherweise in nächster Zeit verschwinden“.

Dies ist ein Auszug aus dem Vorwort des soeben erschienenen Bildbands „Berlin Berlin“ von Thorsten Klapsch, Edition Panorama, Mannheim, 352 S., 29,80 €

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