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Kultur: Zugvögel, Zugmenschen

Der Dokumentarfilmer Volker Koepp erkundet in „Schattenland“ den kargen Nordosten Polens

Vogelgrippe und Fuchs sind nicht die einzige Gefahr fürs Geflügel. So sind von den etwa fünfzig Nestern eines masurischen Storchendorfs im Frühjahr 2004 manche leer geblieben. Ihre Bewohner haben den Vogelzug über das irakische Kriegsgebiet nicht überlebt, meint der Mann, der unter den Storchennestern sein Zuhause hat.

Die Menschen sind naturgemäß etwas sesshafter. Doch auf längere Sicht müssen auch sie migrieren, wie es im Ornithologendeutsch heißt. Immer wieder wurde das Gebiet der hügeligen Seenlandschaft im heutigen nordöstlichen Polen zwischen den Mächten hin und her geschoben: Schweden und Russen, Tataren, Polen und Deutsche. Immer wieder kamen dabei auch die Menschen in Bewegung: Hungersnot und Krieg, Umsiedlungen und Vertreibung zwangen sie in die Fremde. Auch heute ist es nicht anders. „Um zu leben, muss man eigentlich von hier weg“, antwortet ein Bauer auf die Frage nach seinem Wohlbefinden. Und ein Nachfahre der in der so genannten Weichselaktion nach Masuren 1947 zwangsumgesiedelten Ukrainer – größte Minderheit in der Region – will ins Land der Vorfahren zurückkehren, weil dort die Arbeit noch etwas gilt.

„Schattenland“, Volker Koepps neuer Film, ist vor zwei Jahren als Teil eines Doppelpakets im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks entstanden. Doch während „Pommerland“ um seinen Spielort – ein Dorf samt Rittergut und die dort arbeitenden Menschen – kreiste, bleibt die „Reise nach Masuren“ ihrem Untertitel treu. „Schattenland“ ist ein Roadmovie, das sich in klassischer Tradition mit Begegnungen am Straßenrand anreichert. Das Tempo ist gemächlich – und passt gut zum gelassenen Schnitt und Thomas Plenerts kontrollierten Kameraschwenks.

Auch heute ist die „Grenzlandschaft im Schatten der Geschichte“ äußerst dünn besiedelt. Immer noch ist es eine der ärmsten Regionen Europas. Der schwindende Fischbestand zwingt die Fischer, auch im Winter aufs Wasser zu gehen, sobald die Eisdecke trägt. Die Frauen der Bauern fahren zum Putzen nach Italien und Deutschland. Doch zwischen Unmut und Auswanderung wächst ein masurisches Heimatgefühl auch bei manchen, die noch gar nicht so lange hier zu Hause sind: Da gibt es Aussteiger, die selbst gebaute traditionelle Holzhäuser an Touristen vermieten. Ein in Frankreich geborener Warschauer Architekturstudent hat von seinem Großvater ein Häuschen geerbt, in dem er sich jetzt mit seiner litauischen Freundin vom Großstadtstress erholt. Die beiden träumen von einer zukünftigen naturverbundenen regionalen masurischen Architektur.

Urbane Flausen oder reale Hoffnung? Vor über zehn Jahren waren Koepp und Plenert für „Kalte Heimat“ zum ersten Mal in der Region, etwas weiter nördlich im Königsberger Gebiet. Dort hatte man die Grenzen gerade für Fremde geöffnet. Jetzt ist auch das schon Vergangenheit, nur im Film noch für uns aufbewahrt. Auch „Schattenland“ wird bald vor allem das sprechende Dokument einer verflossenen Zeit sein.

In Berlin im Filmkunst 66 und in den

Hackeschen Höfen; OmU im Krokodil

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