zum Hauptinhalt

Kultur: Zum höchsten Gipfel

Der Rias-Kammerchor und Schumanns „Faust“

Ein Wagnis, das der Rias-Kammerchor im noch sehr jungen Jahr von Robert Schumanns 200. Geburtstag eingeht. Statt sich am Neujahrstag dem Freudentaumel von Beethovens Neunter hinzugeben, bleibt das Ensemble bei den Stichworten „große Besetzung“, „Chor, Solisten und Orchester“ und „Konzert für den besonderen Anlass, das als GottesdienstErsatz durchgeht“, führt aber etwas ganz anderes, selten Gespieltes auf: Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ von 1853, eine Mélange aus Oper, Oratorium und konzertanter Szene, ein panoramahafter Blick auf den zweiteiligen „Faust“, den Schumann aus verschiedenen Szenen zusammensetzte und für den er vielleicht, vielleicht auch nicht, die Aufführung in solcherart Einzelstücken vorsah.

An diesem Abend aber werden alle drei Abteilungen gegeben, vom handfesten Beginn mit dem Rückblick auf das Kennenlernen von Faust und Gretchen bis zum „Chorus mysticus“ am Ende der Tragödie. Ein riesiges Aufgebot kommt dafür in der Philharmonie zusammen; der Kammerchor selbst (Einstudierung: Michael Gläser), ein gutes Dutzend Gesangssolisten, der von Sabine Wüsthoff einstudierte Berliner Mädchenchor, außerdem die fast dreifach vergrößerte Akademie für Alte Musik.

Hans-Christoph Rademann, Dirigent des Rias-Kammerchors, steht am Pult und wirft einen Konzertabend an, der in vielerlei Hinsicht Ungewöhnliches bietet. Zum Beispiel den überarbeiteten, doppelt ausgewalzten Stil des späten Schumann, der so wenig mit dem gewitzten Lyrismus seiner frühen Jahre zu tun haben scheint. Oder die Qualität der Solistenriege – allen voran Marlis Petersen, Yorck Felix Speer mit geschwärztem Bass in der dankbaren Rolle des Mephisto, Ruth Ziesak mit silbern abhebendem Sopran, auch der tadellos auftretende Dietrich Henschel (Faust), dessen Eifer als Interpret freilich mit dem schlechthin Überstiegenen der Rolle („Hinaufgeschaut! – Der Berge Gipfelriesen / verkünden schon die feierlichste Stunde“) eine eher ungünstige Verbindung eingeht.

Vor allem aber der überragende Chor, den man an diesem Abend fast zu selten hört. Er zieht die starken Stellen dieser Musik aus dem Ärmel wie Asse, verwandelt die grandiosen „Dies irae“-Einwürfe in der von Unruhe durchzogenen Domszene, die malerische Schilderung der „Bergschluchten“ in Ereignisse ganz eigenen Ranges. Wie ein Miniaturenspiel wirkt daneben der Mädchenchor, zunächst als Lemuren, die Mephisto zur Hand gehen, später als „Chor seliger Knaben“, mit heller, goldener Farbe. All das übertönen die Höhenkreise des lang angelegten „Chorus mysticus“ am Ende, ein Klanggelage, in dem Solisten, Chor und Orchester einander die immergleichen Verse darreichen: „Alles Vergängliche / ist nur ein Gleichnis“ – inniger klingt das und machtvoller als alles, was man von Schumann kennt. Christiane Tewinkel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false