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 Peter Fleischmann auf dem Lido beim Filmfest Venedig 1989.

© imago/Marcello Mencarini

Zum Tod des Filmregisseurs Peter Fleischmann: Der Mann, der weiter sah

Er drehte "Jagdszenen in Niederbayern" und " Die Hamburger Krankheit", war ein Renaissancemensch mit dem siebten Sinn. Nachruf auf den Filmemacher Peter Fleischmann.

Er hatte einen siebten Sinn für nahendes Unheil aller Art. Vor einer Woche, bei einem letzten Besuch, erzählte Peter Fleischmann mit seiner unnachahmlichen Fabulierkunst von den Gesprächen, die er nun Tag und Nacht mit dem Tode führe. Er sei ganz präsent im Raum, nur seine Stimme klinge wie in einem extrem schalldicht isolierten Studio oder in einer Raumkapsel, die ein kleines Leck hat, woraus die Luft zischend entweicht.

So klingt, sagte er, die Stimme des Todes.

Sein erster großer Erfolgsfilm, das waren nach "Herbst der Gammler" die „Jagdszenen aus Niederbayern“ von 1969 nach dem Theaterstück von Martin Sperr, der im Film auch die Hauptrolle spielte. Darin nahm er die Ächtung von Homosexuellen und die Hetzjagd auf sie vorweg, die so richtig erst Jahrzehnte später ein öffentliches Thema werden sollte.

Fleischmann, 1937 im saarländischen Zweibrücken geboren, hatte unter anderem in Paris an der IDHEC Film studiert und als Regieassistent mit Jacques Rosier gelernt. Von ihm übernahm er es, immer im Zwischenreich von Dokumentation und Fiktion zu arbeiten. So hat er seine Spielfilme dokumentarisch angelegt: Schon beim Dreh von „Jagdszenen aus Niederbayern“, der wohl haltbarsten Produktion des Neuen Deutschen Films, besetzte er fast alle Rollen mit Leuten aus den umliegenden Dörfern.

Am wichtigsten war ihm dabei die Sprache. Mit den Laien vor Ort probte er die Texte, ließ sie als sogenannte Nur-Töne wieder und wieder aufsagen, bis sie den Ansprüchen eines professionellen Originaltons genügten – zu einer Zeit, als das Nachsynchronisieren gang und gäbe war.

In seinem Wende-Dokumentarfilm zeigte Fleischmann früh die Kluft zwischen Ost und West

Umgekehrt hat er seine Dokumentarfilme mit Spielfilmdramaturgie inszeniert. Besonders in „Mein Freund, der Mörder“ (2006) über den berüchtigten Robin Hood der Fünfzigerjahre alias Bernhard Kimmel aus seiner heimatlichen Pfalz. Vor, während und nach dessen langjähriger Haftstrafe holte er ihn immer wieder vor die Kamera.

Die unbequemste unter seinen Dokumentationen sollte jene über die Wiedervereinigung werden, In „Deutschland, Deutschland“, 1990 in Biergärten und Weinkneipen gedreht, verwickelt Peter Fleischmann die sogenannten einfachen Leute in Gespräche, die schon damals ahnen ließen, wie tief die Kluft zwischen ihm und den „Brüdern und Schwestern im Osten“ tatsächlich war.

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Bei allem dokumentarischen Anspruch galt seine große Liebe jedoch dem Surrealismus und dem absurden Theater, weshalb er oft mit Jean-Claude Carrière und Roland Topor zusammengearbeitet hat. Sein Opus magnum war hier schon früh „Das Unheil“. Der Film von 1972 nimmt sämtliche Umweltverschmutzungsthemen vorweg. Als Schauplatz wählte Fleischmann Wetzlar. Dort zerbröselt die Kathedrale langsam unter den Giften in der Luft, ebenso zersetzt sich die Moral des Pfarrers und seiner Teenagertochter. Martin Walser steuerte die Dialoge bei, oder besser, die seitenlangen Monologe.

Wenige Jahre später ahnte Peter Fleischmann dann eine große Seuche voraus, die „Hamburger Krankheit“, mit dem großartigen Ulrich Wildgruber. Dabei machte der sich ein diebisches Vergnügen daraus, die gesamte Bundesrepublik in Panik zu versetzen und sarkastisch das Scheitern aller Katastrophenschützer vorzuführen. In Wildgrubers Figur hat sich der Autor und Regisseur trefflich selbst dargestellt, in all seiner Großzügigkeit und Unberechenbarkeit.

Luftverschmutzung und die Zersetzung der Moral: Szene aus "Das Unheil" (1972), mit Hille Vavra (r.) und Ingmar Zeisberg.
Luftverschmutzung und die Zersetzung der Moral: Szene aus "Das Unheil" (1972), mit Hille Vavra (r.) und Ingmar Zeisberg.

© Imago

Wegen seiner Faszination für Verschwörungstheorien hat mancher ihm vorgeworfen, selbst ein Apokalyptiker zu sein – was er als Beweis ihres Wahnsinns ansah und gern mit dröhnendem Hohngelächter quittierte.

Nach dem Mauerfall engagierte er sich für die Rettung der Babelsberger Studios

Überhaupt war Peter Fleischmann ein Renaissance-Mensch, eine Art deutscher Orson Welles, der immer größer und weiter sah als andere, den viele auf seine ersten Filme reduzierten und der Zigarre-rauchend in Festivalhotels auf die überfällige Anerkennung seines Gesamtwerks wartete, sei es von Seiten der Kritik, sei es der Produzenten.

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Mit der Zeit wurde es immer schwieriger für ihn, seine Projekte durchzusetzen. Vielleicht steckte er deshalb nach der Wende seine ganze Energie in die Rettung der ehemaligen Ufa-/Defa-Studios in Babelsberg. Während die Deutschen noch darüber stritten, ob der Ort als lästige Konkurrenz für die westdeutschen Betriebe platt gemacht werden sollte oder ob er als europäisches Filmerbe eine Zukunft haben könnte, mobilisierte Fleischmann in Brüssel französische und andere europäische Filmemacher.

Er fand dann auch die französischen Investoren, die ihre Gaben über dem Standort ausschütteten. Es dürfte eine Milliarde D-Mark gewesen sein: ein Reinverlust für die Investoren, die als Immobilienspekulanten verschrien wurden, aber ein Segen für Berlin, Brandenburg und die deutsche Filmindustrie.

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Zu meinem Leid oder Glück – wie auch immer - ist es ihm gelungen, auch mich an Bord zu holen, um den angeschlagenen Ozeanriesen doch noch ans Ufer zu steuern. Wirklich erreicht hat die Traumfabrik die Gestade der Rentabilität aber erst lange, nachdem wir alle abgetreten waren. Heute blüht der Standort, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Peter Fleischmann, der gemeinsam mit anderen als Totengräber der Defa diffamiert wurde, der eigentliche Retter von Babelsberg war.

Am Mittwoch ist Peter Fleischmann in Potsdam gestorben, wie seine Familie mitteilte. Mit 84 Jahren, er war schwer gestürzt. Seine letzten drei Lebensjahrzehnte hat er inmitten eines treuen Freundeskreises oberhalb der Halbinsel Werder zugebracht, auf einem Weinberg. Die Lage muss ihn an das heimatliche Weingut der Familie erinnert haben. Nur dass die Pfalz einen sehr viel besseren Riesling hervorbringt. Die Rebsorte hat er immer besonders geschätzt.
Volker Schlöndorff, 82, lebt als Filmregisseur in Potsdam. Zu den bekanntesten Werken des Ocar-Preisträgers zählen „Die Blechtrommel“, "Homo faber" und "Tod eines Handlungsreisenden". Zur Zeit realisiert er einen Dokumentarfilm über die "Grüne Wand", ein Begrünungs- und Klimaprojekt in der Sahelzone.

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