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Kultur: Zum Tod von Pauline Kael: Die Kinopriesterin

Fast ein Vierteljahrhundert lang, von 1968 bis 1991, war sie Amerikas wichtigste Filmkritikerin. Pauline Kael schrieb nicht nur einen unverwechselbar leichten, hundertfach nachgeahmten Stil, sie hatte auch eine Bühne, auf der er Wirkung zeigen konnte.

Von Gregor Dotzauer

Fast ein Vierteljahrhundert lang, von 1968 bis 1991, war sie Amerikas wichtigste Filmkritikerin. Pauline Kael schrieb nicht nur einen unverwechselbar leichten, hundertfach nachgeahmten Stil, sie hatte auch eine Bühne, auf der er Wirkung zeigen konnte. Als feste Kritikerin des "New Yorker" entschied sie maßgeblich über Wohl und Wehe eines Filmes - mit einem Erfahrungshintergrund, der Musik, Malerei und Literatur einschloss. Und sie tat es zu einer Zeit, als das Fernsehen - auf das später exzellente Autoren wie Gene Siskel und Roger Ebert ihren Einfluss ausdehnten - noch nicht übermächtig war: eine Bewohnerin der Gutenberg-Galaxis, die sich daraus nicht vertreiben lassen wollte. Kael, Jahrgang 1919, hatte Philosophie studiert, doch sie verfügte über keine Theorie und wollte auch gar keine haben. Sie ging als Reporterin ins Kino und sah sich dort um als jemand, der mit seiner ganzen Person und intellektuellen Autorität auf Bilder und Geschichten reagiert.

Obwohl Pauline Kael gerne Recht behielt, ist das Begeisternde an ihren Texten, dass man ihre Meinung keineswegs teilen muss. Die Urteile, die sie fällte, waren von ihrem oft unberechenbaren Geschmack geprägt, sie gehorchten nicht einmal unausgesprochenen ästhetischen Prinzipien. Aber beim Schreiben ging es ihr darum, Filme sprachlich zu vermitteln, statt in "Two thumbs up"-Manier (Daumen hoch!) den Marktschreier zu spielen. Da verlief in ihrer für den Hollywood-Mainstream offenen Wahrnehmung auch die einzige Grenze: dass Filme etwas zu erzählen haben mussten und nicht lieblos mit ihren Figuren Marketing betreiben dürften. Ihre besten Texte entstanden im Umkreis des New American Cinema. Sie verehrte den frühen Coppola und lobte Robert Altmans "Nashville" in den Himmel. Dagegen missfiel ihr Clint Eastwood, und den Eklektiker Oliver Stone hasste sie sogar. Ihre Kritiken trumpfen selten mit glänzenden ersten Sätzen auf, sie enthalten vielmehr im Verlauf langer Gedankengänge treffende Aperçus, und sie arbeiten mit Slang-Injektionen, die sie anfangs in langen Diskussionen mit ihrem Chefredakteur William Shawn verteidigen musste.

Am Montag ist Pauline Kael die seit langem an Parkinson litt, mit 82 Jahren in ihrem Haus in Great Barrings, Massachusetts, gestorben: eine Instanz, die bis zuletzt um Rat gefragt wurde. Ein Verlust, der sich nur mit dem Serge Daneys in Frankreich vergleichen lässt. Um des Kinos willen lohnt es, sich an sie zu erinnern und für die bevorstehenden harten Kinojahre noch schnell eines ihrer Bücher wie "For Keeps - Thirty Years At The Movies" zurückzulegen, ehe es zu spät ist. So keep it.

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