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"Cloud Atlas". Das ambitionierte Experiment von den Geschwistern Wachowski und Tom Tykwer ist weitgehend gescheitert.

© picture alliance / dpa

Zur Misere des deutschen Kinos: Die Bilderbotschafter

Vor der Verleihung der Lolas: Wie geht es dem deutschen Film? Wieder steht ein schwacher Jahrgang für den Filmpreis zur Wahl. Eine kritische Bestandsaufnahme.

Einer streunt durch die Jahrhunderte, einer driftet durch Berlin. Einer will die Welt retten, einer will endlich einen stinknormalen Kaffee, ohne Milchschaum und anderes Gedöns. Tom Hanks gegen Tom Schilling, die effektreiche Bilderorgie gegen schwarz-weiße Lakonie. David und Goliath sind nichts gegen das Duell der Lola-Favoriten „Oh Boy“ und „Cloud Atlas“: Am Freitag, bei der Verleihung der Deutschen Filmpreise im Berliner Friedrichstadtpalast, treten der 300000-EuroLowbudgetfilm und der 100-MillionenDollar-Blockbuster gegeneinander an. Und vielleicht heißen die lachenden Dritten am Ende ja „Hannah Arendt“, Barbara Sukowa und Margarethe von Trotta.

Alles bestens beim deutschen Film? Spricht die Liste der in der Hauptkategorie „Bester Spielfilm“ nominierten Werke für ein wohltuend breites Spektrum, von der teuersten hiesigen Koproduktion aller Zeiten bis zum billigen Regiedebüt? Bürgt ein Name wie Margarethe von Trotta für Kontinuität, während die restlichen der sechs Lola-Anwärter ein solides Mittelfeld abdecken – Oskar Roehlers „Quellen des Lebens“, „Die Wand“ mit Martina Gedeck und das Kriegsende-Drama „Lore“?

Ein schwacher Jahrgang, sagen selbst Mitglieder der Deutschen Filmakademie, die in geheimer Wahl über die Lolas abstimmen. Es gab mehrere solcher Jahrgänge in letzter Zeit. Gut, Jan-Ole Gersters „Oh Boy“ hat sich mit über 230 000 Zuschauern zum Publikumserfolg gemausert, aber ein Ruhmesblatt für die Branche ist es nicht gerade, wenn ein charmanter Erstling zum meistbeachteten Film der Saison wird. „Cloud Atlas“ wiederum ist als ambitioniertes Experiment von den Geschwistern Wachowski und Tom Tykwer weitgehend gescheitert. Weil 1,2 Millionen in Deutschland verkaufte Tickets einen kargen Ertrag angesichts des gewaltigen Aufwands bedeuten. Und weil man den Helden, die auf ihrer Seelen- und Zeitenwanderung auch noch die Schauspieler-Identitäten wechseln, kaum zu folgen vermag. Und die drei nominierten Dokumentarfilme – „Vergiss mein nicht“, „More than Honey“ und „Die Wohnung“ – schlagen sich redlich, Filmgeschichte aber schreiben sie nicht.

Die Lolas sind der mit drei Millionen Euro höchstdotierte staatliche Kulturpreis der Nation. Künstlerisch ragt im Mittelfeld aber lediglich „Lore“ heraus, als ästhetisch wie politisch-moralisch klügere Version von „Unsere Mütter, unsere Väter“. Nur dass die Regisseurin Cate Shortland heißt. Das derzeit Beste aus deutschen Landen, neben Gersters Hochschulabschlussfilm die Kriegskinder-Erzählung einer Australierin?

Starke Debüts, tapfere Einzelgänger und Experimente gibt es immer. Seit Fassbinder ist das Filmland Deutschland ein Hort der Hoffnungsträger. Zum Beispiel letzten Sommer das Dokufiction-Experiment „This Ain’t California“ über die Rollbrettfahrer-Szene der DDR, das thematisch wie erzählerisch Neuland betrat (aber von der Filmakademie nicht nominiert wurde). Oder Anfang 2012 David Wnendts Neonazi-Milieustudie „Kriegerin“, die erschreckend aktuell wurde, als sie pünktlich zum Bekanntwerden der NSU-Mordserie ins Kino kam.

Bloß lösen die meisten Versprechen sich nicht dauerhaft ein. Regisseure, die am Puls der Zeit sind, verschwinden oder manövrieren sich ins Abseits, wie Romuald Karmakar und Hans Weingartner. Sie enttäuschen ihr Publikum, wie Doris Dörrie zuletzt mit „Glück“. Oder sie bescheiden sich wie Maren Ade, Valeska Grisebach und Ulrich Köhler mit der Arthouse-Nische. Auch die Überflieger, jene Produktionen, die Kunst und Kommerz versöhnen, bleiben One-Hit-Wonder, „Lola rennt“ oder „Good Bye, Lenin!“ – lang ist’s her. Die Erfolgsfilmer Florian Henckel von Donnersmarck und Tom Tykwer zieht es wie einst Roland Emmerich und Wolfgang Petersen nach Amerika, wo sie Flops landen oder sich an der Idee intellektueller Indie-Blockbuster verheben.

Warum bringt Deutschland keine Filmemacher vom Kaliber eines Michael Haneke oder Ulrich Seidl hervor, keine Dardenne-Brüder, keinen genial Verrückten wie Lars von Trier? Österreich, Belgien, Dänemark, small is beautiful in Europa: Je kleiner das Land, desto größer die Filmkunst. In der Filmnation Frankreich drehen jüngere Regisseure wie François Ozon mit den Stars aus den Zeiten der Nouvelle Vague, mit Fanny Ardant, Catherine Deneuve oder Charlotte Rampling – ein vitaler Geschichtssinn, der hierzulande nur in Fatih Akins „Auf der anderen Seite“ mit Hanna Schygulla aufflackerte. In Deutschland sind Fliehkräfte am Werk: Werner Herzog, der am Freitag mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet wird, lebt in den USA. Auch die Grandseigneurs des Autorenfilms, Wim Wenders und Volker Schlöndorff, arbeiten lieber im Ausland. Dass ihre Kollegin Margarethe von Trotta mit „Hannah Arendt“ einen Arthouse-Kassenerfolg verbuchen kann – mit über 400 000 Zuschauern! –, bleibt die rühmliche Ausnahme. Sie beweist, dass die Branche getrost auch auf ein erwachsenes, älteres Publikum setzen kann.

241 Filme sind 2012 in Deutschland entstanden, davon 156 Spielfilme. 2003 waren es 107. Die Zahl der Produktionen hat sich in einer Dekade mehr als verdoppelt, der Marktanteil dagegen stagniert bei 15 bis 30 Prozent – und hängt vor allem davon ab, ob ein neuer Til Schweiger, Bully Herbig oder Matthias Schweighöfer dabei sind. Deshalb sank der Anteil letztes Jahr auf 18 Prozent, obwohl die Kinobranche erstmals die Umsatzmarke von einer Milliarde Euro knackte. Im ersten Quartal 2013 schnellte er hoch auf 32 Prozent, dank „Kokowäh 2“, „Schlussmacher“, „Fünf Freunde 2“ und „Hannah Arendt“. Die Qualität aber bleibt mau, trotz der fürstlichen 345 Millionen Euro aus Bund- und Ländertöpfen sowie den Abgaben der Filmförderanstalt. Davon erhielt allein die Berliner Firma X-Filme knapp 15 Millionen Euro.

Letzte Woche verkündete Cannes, das Filmkunstfestival Nummer eins, sein Programm. Wieder kein deutscher Film dabei, man kennt das. Seit 1993 haben es nur Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“ (2004) und Akins „Auf der anderen Seite“ (2007) in den Palmen-Wettbewerb geschafft, zwei Filme in 20 Jahren. Die kurze Auslandsoscar-Erfolgsserie mit „Nirgendwo in Afrika“, „Die Fälscher“ und „Das Leben der Anderen“ (2007) scheint auch beendet zu sein, und selbst auf der Berlinale, die Dieter Kosslick als Plattform für die Deutschen wieder attraktiv gemacht hat, lief zuletzt nur eine nationale Produktion, Thomas Arslans „Gold“. Der Plot passte gut: Deutsche Abenteurer ziehen los, um das ganz große Geld zu machen, geraten jedoch auf Abwege, und ihr Ziel rückt in immer weitere Ferne.

Dem deutschen Film geht es ähnlich. Das Fernsehen mischt und produziert mit, trimmt Projekte auf Konfektionsmaß und erfüllt seinen Kulturauftrag erst ab Mitternacht – siehe „Kleines Fernsehspiel“, siehe den Abschied vom anspruchsvollen Dokumentarfilm. Mag auch sein, dass die Konfektionierung längst in vorauseilendem Gehorsam geschieht. Schon die Kino-Trailer zeigen: Deutsche Filme tragen ihre Themen wie Demo-Banner vor sich her, versprechen Botschaften statt Geschichten.Und die Fähigkeit, Zeitgeschehen und Aufreger-Sujets in spannende, wenn auch durchformatierte Genrefilme zu verwandeln, beherrschte lediglich Bernd Eichinger – er starb 2011.

So finden sich zwischen den künstlerischen Hoffnungsträgern, der wachsenden Zahl von Koproduktionen und dem Kommerz, den eine gesunde Filmindustrie braucht, nur wenige tapfere Autorenfilmer. Christian Petzold, Andreas Dresen, Hans-Christian Schmid, vielleicht noch Matthias Glasner – und Tom Tykwer, der ab und zu aus dem internationalen Business zurückkehrt. Zuverlässig bringen sie alle zwei, drei Jahre beachtliche Filme heraus, sie haben ihr Stammpublikum. Ihr Kino bildet die Herzkammer der aktuellen deutschen Filmkultur, zuletzt mit „Barbara“ (der mit 260000 Zuschauern 2012 die Arthouse-Charts anführte) und „Halt auf freier Strecke“. Hinzu kommt Deutschlands bester Genrefilmer Dominik Graf, der sich allerdings dem Fernsehen verschrieben hat.

Diese kleine Gruppe kann nicht genug unterstützt werden, von den Fördergremien wie aus den eigenen Reihen. Deshalb ist es ärgerlich, wenn die Filmakademie Schmids eindrücklichem Drama „Was bleibt“ nur eine Nominierung in einer Nebenkategorie gönnt und die mit 250 000 Euro Subventionsgeld ausgestattete „Bester Film“-Nennung verweigert.

Der Prophet im eigenen Lande gilt wenig. Während das New Yorker MoMA der Berliner Schule im Herbst eine Retro ausrichtet, wird der Begriff für die Filme von Petzold, Arslan, Köhler, Angela Schanelec oder Christoph Hochhäusler hierzulande gerne als Schimpfwort benutzt. Und während Nina Hoss auch im Ausland gefeiert wird, versagten die Kollegen ihr 2012 eine Nominierung für „Barbara“.

Eine selbstbewusste Branche sieht anders aus. Die Fördergelder reichen für die Produktion, das Gesetz schreibt keine Rückzahlung vor. Das Ergebnis: eine seltsame Gleichzeitigkeit von Selbstgenügsamkeit, Selbstverkennung und Hybris. Anlässlich der Filmpreis-Verleihung 2012 beschrieb Dominik Graf in der „Zeit“ das Dilemma der Saturiertheit, schimpfte auf das bildungsbürgerliche „Relevanzkino“ und brach eine Lanze fürs Triviale. Für Spektakel, Fantasy, Jahrmarkt – als Alternative zum Mittelmaß. Und im Spätherbst kritisierten 20 Filmkritiker – darunter auch die Autorin dieses Artikels – in einem Offenen Brief die Lola-Vergabe der Akademie mit ihrer Tendenz zum Konsenskino, „das künstlerische Extreme ebenso wie große Kassenerfolge von vornherein ausschließt“.

Was muss geschehen, damit Quantität in Qualität umschlägt? Die Realisierung der Graf’schen Vision von intelligentem Jahrmarkt ist höchstens Bully Herbig zuzutrauen. Ansonsten gilt es, mit den wenigen vorhandenen Pfunden zu wuchern. Indem die Lolas als wichtigste kulturelle Fördermaßnahme so präzise wie möglich die Filmkunst fördern: das verwegene, exzentrische, unerhörte, zartbesaitete, überwältigende Kino, nicht die ehrbare Absicht oder eine lauwarm-gediegene Romanverfilmung wie „Die Wand“. Indem die Politik das Fernsehen in die Pflicht nimmt, als engagierten Komplizen. Und indem man die kostbarsten Mitstreiter für den guten Film auf Händen trägt, die Schauspieler: Nina Hoss, Martina Gedeck und Corinna Harfouch, Sophie Rois, Birgit Minichmayr und Hannah Herzsprung, Jürgen Vogel, Burghart Klaußner und Christoph Waltz, Lars Eidinger, Devid Striesow, Fabian Hinrichs und wie sie alle heißen. Bis auf Weiteres sind sie das Beste, das der deutsche Film zu bieten hat.

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