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INTERNATIONALES LITERATURFEST BERLIN Auch das gibt es beim Festival: die viel geschmähte Dichter-mit-Wasserglas-Lesung ohne Hip und Hop und Multimedia-Performance. Dafür Gedichte über das Kindsein, das Vergehen der Jahreszeiten und den Tod.

INTERNATIONALES LITERATURFEST BERLIN

Auch das gibt es beim Festival: die viel geschmähte Dichter-mit-Wasserglas-Lesung ohne Hip und Hop und Multimedia-Performance. Dafür Gedichte über das Kindsein, das Vergehen der Jahreszeiten und den Tod. Lyrik eben, wie sie schon immer geschrieben wurde und wohl auch noch lange geschrieben werden wird. Zu hören war sie beim derzeitigen DAAD-Stipendiaten Ferenc Szijj aus Ungarn, dem Polen Ryszard Krynicki und Zbynek Hejda aus Tschechien während der dritten Poetry Night in den Sophiensälen. Alle drei haben sie eine starke Affinität zur deutschen Sprache. Wenn gilt: An ihren Übersetzungen sollt ihr sie erkennen, dann waren hier hochkarätige Literaten versammelt. Szijj hat Kafka und Sebald übertragen, Krynicki Celan und Brecht, Hejda Trakl und Benn. Dafür, dass Szijj sich „nicht als echter Dichter“ empfindet, ist seine Lyrik mit ihrer ausgeprägten Lichtmetaphorik von einiger poetischer Eindrücklichkeit. Bei Krynicki geht die Geschichte – vor und nach 1989 – als Katastrophenzusammenhang über den Menschen hinweg. Der Tscheche Hejda schließlich war nach dem Prager Frühling und der Unterzeichnung der „Charta 77“ zwanzig Jahre mit Publikationsverbot belegt und als Hausmeister abgestellt. Es kann den auf eine strahlende Zukunft erpichten Kulturkadern nicht recht gewesen sein, was Hejda an Morbidem in seinen Gedichten versammelt. Beständig ist von „verfaultem Laub“, „Totenkammern“ und „Gräbern“ die Rede. Einmal hätte der Dichter sich beinahe in ein „heiteres Bild“ verirrt: „erschrocken trat ich gleich den Rückzug an“. Doch dann tritt aus dem gegenüberliegenden Wirtshaus ein Mann – schwankend.

Eigentlich wollte er ja Rockmusiker werden, behauptet Lars Saabye Christensen gerne. Das klingt plausibel bei einem, der 1953 in Oslo geboren wurde, mit Jim Morrison aufgewachsen ist und für den die Lyrik damals mit den Beatles angefangen hat. Aus der Karriere als Gitarrist ist trotzdem nichts geworden. Dafür wurden aus selbstgemachten Songtexten mit der Zeit Romane und aus dem John Lennon-Fan wurde ein Schriftsteller, dessen Bücher zum Beispiel „Yesterday“ heißen. Seine Helden sind meist Außenseiter und Vagabunden, kurz: Flüchtende auf der Suche nach dem wirklichen Leben.

Mit seinem neuesten Werk „Der Halbbruder“, aus dem er am Montag in den Sophiensälen lesen wird (21 Uhr 45), hat sich Christensen nun endgültig als einer der wichtigsten Gegenwartsautoren Norwegens etabliert, einem Land, das sich ausgesprochen viel und intensiv mit Literatur beschäftigt. Die Familiensaga um Barnum und seinen Bruder Fred war denn auch ein sensationeller Erfolg: Ausgezeichnet mit dem Nordischen Literaturpreis, monatelang Platz eins in den Bestsellerlisten, gelobt von der Kritik. Aber seien Sie gewarnt: Trauen Sie diesem Mann nicht über den Weg! „Mundus vult decipi“ flüstert seine Stimme zwischen den Zeilen, während sie uns solange mit Lebenslügen an der Nase herumführt, bis wir uns dabei ertappen, dass uns die Wahrheit gar nicht mehr so sehr interessiert. Wer feine Ohren hat, der findet vielleicht Gefallen an der Idee, dass auch die Wahrheit nichts anderes als Dichtung ist. Der lässt sich gern betören von jener sanften „Ingmar Bergman-Traurigkeit“, die da aus dem hohen Norden herunterweht. Lena Grundhuber

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