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Der Autor und Publizist Erich Kuby. Fotografiert im Jahr 1990.

© dpa Bildfunk

Bestseller neu aufgelegt: "Rosemarie": Zusammengesetzt aus vielen Halbkugeln

Erich Kubys Bestseller über "Rosemarie", das bekannteste Callgirl der Wirtschaftswunder-Jahre, ist etwas in die Jahre gekommen.

Wer konnte so etwas noch unbefangen schreiben? „Das Mädchen starrte ihn verwundert an. Dieser Blick war wie der einer Negerin, die zum ersten Mal über der Lichtung ihres Krals ein Flugzeug auftauchen sieht.“ Es war Erich Kuby 1958, damals Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, in seinem Bestseller „Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind“, nach seinem eigenen Drehbuch für den Film „Das Mädchen Rosemarie“.

Das Buch hat zwei Neuausgaben erlebt, 1996 im Rotbuch Verlag und jetzt beim Frankfurter Schöffling Verlag. Nicht nur Bürger der alten Bundesrepublik werden sich erinnern, dass mit dem „Mädchen“ die 1957 ermordete Frankfurter Prostituierte Rosemarie Nitribitt gemeint war, zu deren Kunden nachweislich Prominente wie Harald (der jüngere) Krupp von Bohlen und Halbach, Gunter Sachs und der Rennfahrer Huschke von Hanstein zählten. Ihr Tod blieb trotz des dringenden Tatverdachts gegen einen bei ihr verschuldeten Handelsvertreter unaufgeklärt.

War es ein Auftragsmord?

Neue Aktenfunde liefern Hinweise auf den – inzwischen verstorbenen – Harald Krupp von Bohlen und damit neue Nahrung für Legenden um einen Auftragsmord, die Autoren wie Kuby früh zu einem Sittenbild der Wirtschaftswundergesellschaft verflochten. Die DDR produzierte dazu das Hörspiel „Das Duell“ des westdeutschen Schriftstellers Gert Ledig, der als Mitglied der verbotenen KPD für den DDR-Rundfunk arbeitete.

Erich Kuby, der im Nachwort zur zweiten Ausgabe im Rotbuch Verlag einräumt, er habe „irgendwelche Recherchen über Rosemaries reales Leben, ihre Kundschaft, den nach wie vor nicht aufgeklärtem Kriminalfall weder vorher noch nachher angestellt“, wollte das Buch dennoch als „Fallstudie“ zwischen Realität und Fiktion verstanden wissen.

Es einen Roman zu nennen, „nur deshalb, weil es im Einzelnen erfunden ist, wäre wohl verfehlt; nicht nur weil es den Begriff, literarisch genommen, nicht zu füllen vermag, sondern auch damit es sich niemand zu leicht mache und sage: Das ist ja nur ein Roman.“

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Dieses Dilemma teilt das Buch „Rosemarie“ mit ähnlichen Versuchen anderer Journalisten, Fragmente gesellschaftlicher Wirklichkeit zu einem geschlossenen Gesellschaftsbild zu verdichten. Bernt Engelmann ist das mit seinen Romanen „Großes Bundesverdienstkreuz“ und „Hotel Bilderberg“ ebenso misslungen wie Erich Kuby.

Zu fragwürdig ist das Verfahren, in einem vermeintlich repräsentativen Fall fehlende Beweise und vermutete Zusammenhänge durch „alternative Fakten“ zu ersetzen und im Stil - nicht in der Form - eines Tatsachenberichts aufzubereiten. Das unterscheidet sein Buch auch von Dokumentarsatiren wie „Unsere Siemens-Welt“ von F.C. Delius oder Michael Frayns szenischen Collagen „Kopenhagen“ und „Demokratie“.

Kubys Stilblüten sind grenzwertig

Auch Kuby kann sein Buch, das sich vordergründig wie eine spannende Reportage liest, literarisch nicht füllen. Wo er es versucht, produziert er Stilblüten wie „diesen Flugzeug-Aufblick der Negerin“ oder Rosemaries Anblick, „als hätte man sie aus zahlreichen großen und kleinen Halbkugeln zusammengesetzt“.

Das ist grenzwertig wie der Vergleich ihres Liebhabers Hartog mit dessen Schwester, sie habe „mehr Rasse“. Dass Hartog aus Rosemaries Bett morgens „des Himmels blaue Maifahne wehen“ sieht, wäre selbst als bewusste Anspielung auf Mörikes blaues Frühlingsband eine Platitüde.

[Erich Kuby: Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind. Mit einem Essay von Jürgen Kaube. Schöffling & Co. , Frankfurt a. M. 2020. 318 Seiten, 22 €.]

Kuby, der Erfinder all dieser Szenen, verhehlt nicht, dass er die gerichtsnotorischen Umrisse ihres Schicksals für sein Sittenbild des Wirtschaftswunders freihändig ausgemalt hat: vom Heimkind und Fürsorgezögling auf den Straßenstrich, durch Selbstoptimierung und Kurse für „Gutes Benehmen“ zum Luxusobjekt reicher Männer aufgestiegen und als 23-Jährige mit einem unversteuerten Jahreseinkommen von 90 000 D-Mark von einem Unbekannten erwürgt.

Weder hat sie mit Tonbandaufnahmen von Bettgesprächen ihre reichen Kunden erpresst noch Geheimdienste mithören lassen wie in Kubys Gedankenspiel, das ihren Tod als Auftragsmord ihrer kompromittierten Freier aus Industrie und Politik erscheinen lässt. S

ein einziger und wirklicher Zweck sei nicht die Skandalisierung der Person Rosemarie, heißt es in Kubys eigenem Nachwort, sondern „eine Erschütterung des Ansehens, welches die Rosemarie-Kunden als Leitbilder unserer Gesellschaft skandalöserweise genießen“. Doch dazu hätte es harter Fakten bedurft. Erich Kubys „Theorie“ findet FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube in seinem Essay zur Neuausgabe zwar noch immer „bemerkenswert“, ihre spekulative Verknüpfung mit einem industriellen Machtkartell und dessen Plänen zur atomaren Aufrüstung „jedoch nicht zwingend“.

Hannes Schwenger

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