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Kultur: Zuwanderung: Konsens mit Grünen und Union?

Die Lawine der Empörung baut sich langsam auf. Stein um Stein kommt zusammen, seitdem Innenminister Otto Schily (SPD) am 3.

Die Lawine der Empörung baut sich langsam auf. Stein um Stein kommt zusammen, seitdem Innenminister Otto Schily (SPD) am 3. August den Referentenentwurf für ein Gesetz über die Zuwanderung und ihre Begrenzung vorgelegt hat. Stein um Stein verdichtet sich seit einigen Tagen die Ablehnung und in dieser Woche wird die Lawine tosend zu Tal gehen. Erst grummelte es nur ein wenig in den Sozialverbänden, bei den Kirchen und bei den Grünen. Denn schon früh meinte so mancher, dass Schilys Vorstellungen "inhuman" (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband) seien und gegen die UN-Kinderkonvention verstoßen (Kinderschutzbund).

Das ganze Ausmaß der innenministeriellen Rechtsvorstellungen hat jedoch niemand in den Wochen des Augustes absehen können. Schließlich ist der Entwurf umfangreich und derart kompliziert, dass selbst die gewieften Rechtsexperten im Hause der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck vier Wochen für die Analyse des Entwurfs brauchten. Und was der Union, vor allem der CSU nicht weit genug geht, nicht restriktiv genug ist, wie zum Beispiel die Abschiebepraxis für Asylbewerber, geht den Grünen zu weit. Ganz entschieden zu weit.

Die Erkenntnis auch beim Koalitionspartner der Sozialdemokraten sickerte allerdings erst langsam - so wie in Bremen oder Bayern. Dort haben die Landesverbände den Referentenentwurf abgelehnt. "Im Bereich des Aufenthaltsrechts ist er kleinlich schikanös", sagt Jerzy Montag, Landesvorsitzender der Grünen in Bayern. Der Gesetzesentwurf gehe "unter die Mindestnorm von Anständigkeit" und verstoße gegen die Grundprinzipien der Verfassung. Die Bremer und die Berliner Grünen hatten ähnliche Gründe, den Schily-Entwurf abzulehnen.

Dem könnte sich heute der Parteirat der Grünen anschließen. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat am Samstag angekündigt, dem Spitzengremium der Partei eine Ablehnung des Entwurfs vorzuschlagen. "Der hat nichts, aber auch gar nichts mit Rot-Grün oder der SPD zu tun", sagt Roth. "Das ist ein Vorschlag aus dem Innenministerium." Das heißt jedoch nicht, dass die Grünen auf die Chance für ein Einwanderungsgesetz verzichten wollen. "Wir sind konsensbereit", sagt Roth.

Die Grünen setzen nun auf die SPD-Fraktion. Der Schily-Entwurf stehe "diametral zur Programmatik der SPD", sagt Jerzy Montag. Auch der grüne Rechtsexperte Volker Beck will versuchen "einen gemeinsamen Entwurf mit der SPD" zu machen. "Die entsprechenden Veränderungen müssen rein, bevor der Entwurf den Drucksachenstempel bekommt", sagt Beck. Damit muss er sich allerdings beeilen. Denn Schily will bereits am 26. September einen Gesetzentwurf - die Stufe nach dem Referentenentwurf - durch das Kabinett bringen. Bis dahin müssen sich allerdings die Rechts- und Innenpolitiker der SPD noch kräftig in das Papier vertiefen. Denn wie aus der Fraktion zu hören ist, haben die SPD-Politiker den Entwurf noch nicht ergründet. Eigentlich wollten sich die Fachleute der Koalition schon in dieser Woche zusammensetzen und über die strittigen Punkte sprechen, doch der Zeitplan verzögert sich nun.

Dabei hat es der Entwurf in sich. Die bereits komplizierten Gesetze für Asylbewerber, das Aufenthalts- und das Arbeitsrecht hat Schily in ein neues Artikelgesetz gegossen. "Es dauert lange, bis man überhaupt etwas Bekanntes wiederfindet", sagt Marieluise Beck, Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. Aber sie hat nach dem umfangreichen Studium des Entwurfs vieles wiedergefunden - auch Zustände, die sie längst als überwunden ansah.

So sollen Aufenthaltsgenehmigungen in Zukunft wieder von den Zuständen am Arbeitsmarkt abhängig werden. "Das ist die Rückkehr zur Rotationsmigration", sagt Beck. Mit anderen Worten: Zustände wie in den sechziger Jahren, als Gastarbeiter geholt wurden. Allerdings hat sich bei den Experten längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass dieses Prinzip nicht funktioniert, da Menschen kommen und keine Arbeitsmaschinen. Unglaublich findet Beck auch den Schily-Vorschlag, die sieben verschiedenen Stufen des Aufenthaltsrechts auf zwei zu begrenzen: Entweder eine unbefristete oder eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Das hört sich nach schlanker Verwaltung an, ist jedoch einer der "schikanösen" Punkte, den die Grünen entdeckt haben. So soll nur der Ausländer das Recht zum Leben in Deutschland, und damit noch lange nicht auf einen deutschen Pass, bekommen, der seine Deutschkenntnisse schriftlich nachweisen kann und einen Test über seine Kenntnisse der Staatsbürgerkunde bestanden hat. Die Hürde wäre wohl manch einem deutschen Staatsbürger zu hoch.

"Die Grundhaltung des Entwurfs ist nicht akzeptabel", sagt Marieluise Beck. Aber wie soll die aus dem Konvolut verschwinden? Den Grünen bleibt nur die Hoffnung auf die Einsicht bei Schily und den Modernisierungseifer in der SPD. Denn inhaltlich mag Schily mit der Union übereinstimmen, aus taktischen Gründen aber kann er sich nicht mit einem CSU-Innenminister Beckstein auf eine Stufe stellen.

Ulrike Fokken

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