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Eltern haben es auch nicht immer leicht. Simone Thomalla und Klaus Christian Schreiber in dem bewegten Generationenstück von Lutz Hübner.

© Eventpress Hoensch

"Wunschkinder" im Renaissance-Theater: Zuwendung als Zumutung

Ein klarer Fall von Wohlstandsverwahrlosung: „Wunschkinder“ mit Simone Thomalla in der Hauptrolle holt das Hotel Mama ins Renaissance-Theater.

Gestern noch ein Wonneproppen, heute plötzlich ein Kotzbrocken. Die Erfahrung machen vermutlich nicht wenige Eltern mit ihren in die Jahre kommenden Kindern. Und dann setzt das große Heulen und Zähneknirschen ein: Was haben wir bloß falsch gemacht? War denn das Füllhorn an Verständnis, Geduld, Liebe, Bildung und Geld, das wir über dem Balg ausgegossen haben, nicht genug? Wieso will es nur schlafen, essen und kiffen, wo wir ihm doch täglich ein Erfolgsbeispiel verantwortungsbewusster Lebensgestaltung geben?

Vor diesen Fragen stehen auch die Eltern im schönen Stück „Wunschkinder“ des Berliner Autorenpaars Lutz Hübner und Sarah Nemitz. Nach der Uraufführung am Schauspielhaus Bochum im vergangenen Jahr hat es jetzt Regisseur Torsten Fischer am Renaissance-Theater zu einer begeistert beklatschten Premiere gebracht. Seine Inszenierung ist vor allem deshalb geglückt, weil sie die beklemmende Realitätsnähe des „Wunschkinder“-Szenarios bei größtmöglichem Dialogwitz wahrt. Und weil sie viel Gespür für die Ambivalenzen der Figuren in dem ödipalen Geflecht beweist, das Hübner und Nemitz entwerfen.

Totes Fleisch. Ein Teenager

In der gehobenen Altbauwohnung mit Flügeltür und Panoramabild an der Wand (Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos) turnt der 19-jährige Marc (Arne Gottschling) in Unterhosen an von der Decke hängenden Ringen durch seinen kurzen Tag, bevor’s abends wieder zum Feiern geht. Statt sich um Praktika, Studienplätze und andere karriereanbahnende Maßnahmen zu bemühen, futtert der Filius seinen Eltern den Kühlschrank leer, lässt sich von Mama die Wäsche waschen und tippt auf dem iPhone rum. Ein klarer Fall von Wohlstandsverwahrlosung.

Besonders Vater Gerd (Klaus Christian Schreiber), leitender Ingenieur mit Geld, dreht ob der Perspektivlosigkeit seines Sohnes regelmäßig durch. „Man redet, man baut goldene Brücken, macht Vorschläge und was sitzt neben einem? Totes Fleisch. Ein Teenager.“

Mutter Bettine pampert ihren Buben

Mutter Bettine (Simone Thomalla) betrachtet die Lage dagegen deutlich milder und pampert den großen Buben lieber noch ein bisschen. Der dankt es den Eltern, indem er seine neue Freundin Selma (Emma Lotta Wegner), eine aufgeweckte, redegewandte und überaus selbstständige Linksaktivistin, nach kurzer Beziehungszeit schwängert. Selmas Mutter – fulminant von Judith Rosmair gespielt – hat schwere psychische Probleme und somit einen gewissen Betreuungsbedarf seitens ihrer Tochter. Bettine freut’s. Die hauptberufliche Hausfrau, die ihren Job der Familie zuliebe aufgegeben hat und ihr karitatives Engagement auf die Flüchtlingshilfe wirft, sieht schon spätes Ersatzmutterglück aufscheinen.

So handelt „Wunschkinder“ nicht nur von den fatalen Resultaten einer liberalen Erziehung zur Unmündigkeit. Sondern genauso von den Sinnkrisen und Selbstentfremdungen der Elterngeneration, auch verkörpert in Bettines Schwester Katrin (Angelika Milster), die als gealterte Ex-Rockerbraut die jugendnahe Zuhörerin gibt, aber letztlich wie alle anderen vor der Frage steht: Was ist nur aus mir geworden?

Unerwartete Spießigkeitswallungen beim Zuschauer

In zwei Stunden verhandelt Regisseur Torsten Fischer die geballten Projektionen, Erwartungen und Enttäuschungen, die in diesem Clash der Generationen aufeinanderprallen. Das Interessante ist, dass man als Zuschauer am Grad der Parteinahme für die eine oder andere Seite das eigene In-die-Jahre-Kommen überprüfen kann. Im Zweifelsfall geht das mit unerwarteten Spießigkeitsaufwallungen einher. Ganz recht, soll er sich doch einen Job suchen, der faule Lümmel!

Am Ende regnet es auf Hauptdarstellerin Simone Thomalla, die für ihre Bettine eine Balance aus Fürsorglichkeit und Verzweiflung findet, nicht nur bergeweise Blumen, sondern auch Kuscheltiere auf die Bühne. Ein schönes Bild, nicht zuletzt für die verlorene kindliche Unschuld.

Wieder: Sa 4.2. und Mo 6.2., weitere im Februar und März

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