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Kultur: Zwei Dinge, das umstürzlerische Repertoire und die außergewöhnlichen Proportionen der Stimmen untereinander, gaben den Ausschlag für das positive Erstaunen

Auf historischem Instrumentarium mit althergebrachten Manieren Hauptwerke des vorklassischen Repertoires gegen den Strich bürsten - damit kann man den Geboten einer intelligenten und ernst zu nehmenden historisierenden Aufführung Alter Musik heute nicht mehr Genüge tun. Das erhellte das unerhört beeindruckende dienstägliche Konzert der Akademie für Alte Musik Berlin im Konzerthaus.

Auf historischem Instrumentarium mit althergebrachten Manieren Hauptwerke des vorklassischen Repertoires gegen den Strich bürsten - damit kann man den Geboten einer intelligenten und ernst zu nehmenden historisierenden Aufführung Alter Musik heute nicht mehr Genüge tun. Das erhellte das unerhört beeindruckende dienstägliche Konzert der Akademie für Alte Musik Berlin im Konzerthaus.

Alles, was man von "unserer Akademie" während der Tage der Alten Musik angesichts internationaler Konkurrenz in der Stadt erwarten konnte, und noch ein bisschen mehr, wurde wahr. Zwei Dinge, das umstürzlerische Repertoire und die außergewöhnlichen Proportionen der Stimmen untereinander, gaben den Ausschlag für das positive Erstaunen. Untaugliche Klischees - ob das von den Kleinmeistern oder das von den verkannten Genies - sind hier unbedingt zu vermeiden. Richtig bleibt, dass nur mit aufregenden, bisher sträflich vernachlässigten Werken bewiesen werden kann, wie notdürftig und elendig eigentlich der Kanon ist, den uns das 19. und 20. Jahrhundert von der Musik des Barock übrig gelassen hat.

Mit einem Verhältnis bei den Streichern von nur sechs Geigen zu vier Bratschen, mit drei Akkordfundament-Instrumenten, von denen zwei immer beschäftigt waren, nämlich Basslaute, Cembalo und Orgel (die hier als weltliches Konzertinstrument so richtig wieder entdeckt und emanzipiert wurde), mit collaparte laufenden Bläsern, Flöte und Fagott, konnte das Ensemble eine äußerst plausible, obertongesättigte, aufgefächerte Schwingungsintensität erzielen.

Das erste Grave einer Georg-Muffat-Sonata von 1682 durchmisst alle unter- und überirdischen Klangregionen, wenn Orgel, Kontrabass und Laute zu dritt beginnen und sich der Satz bei den Primgeigen verliert. Die wunderbar feinnervige Artikulation in allerlei raffinierten Stricharten gab besonders dieser Komposition nicht nur ihren experimentellen Charakter zurück. Sie zeigte auch zu welch aufwühlendem, Affekte neu definierendem Impetus die Verschmelzung gegenwärtiger Erfahrungen mit vergangenen Musizierhaltungen führen kann.

Ob das extravagante, katzenmusikalische Capriccio von Carlo Farina, eine Balettsuite von Lully, ob nächtliche Serenaden von J.H. Schmelzer oder Ignaz Biber, alles atmete den frischen Geist avantgardistischer Musik von einst. Antje Schurrock an der Traversflöte entriss ein Paradekonzert von Vivaldi allen Konventionen und kreierte eine neue Kunst: das Verfertigen von musikalischem Sinn während des Spielens: sich verflüchtigende Klanglinien, zum Zerreißen gedehnte Triller.

Peter Sühring

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